top of page
  • Autorenbild@Nika

Boot- und Bargespräche

Es ist früh, kurz vor halb acht, und es riecht nach Gummi und Salzwasser. Ich bin müde und sitze an der Tauchbasis und warte auf den Tag. Schnorcheln in Gabr-al-Bint als Bootsausflug, südlich von "The Caves" ohne Autozufahrt. Tauchen ist erst ab nächster Woche geplant, denn derzeit sind Eid-Ferien und alles ist voll, auch mit Leuten, die nicht so sehr dem Dahab-Spirit entsprechen. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, aber ich freue mich auf den Tag auf und im Wasser. Es gibt für mich kaum etwas Faszinierendereres als die Wüste, die quasi direkt ins Meer fällt.

Ken kommt, gesellt sich zu mir, stellt sich vor. Später erfahre ich, dass er Journalist und Autor ist, in Berlin gelebt hat und jetzt seit vier Jahren in Dahab lebt. Eigentlich ist er Schotte, und während alle eine Art amerikanisches Umgangsenglisch sprechen, spricht Ken schottisch.

"So do I" anstatt eines "ich auch" ist schon sehr cool. Es war sehr motivierend und inspirierend zu sehen, dass es noch mehr Menschen gibt, die über ein alternatives Lebenskonzept nicht nur nachdenken, sondern es auch umsetzen. Die mitfahrenden Lehrer aus unserem Tauchbasisteam haben ähnliche Erfahrungen wie wir alle mit Schülern und Eltern gemacht, das unterscheidet sich auch an einem britischen oder amerikanischen Schulsystem nicht. Die meisten übersommern in Dahab, auch damit bin ich nicht alleine.


Die Pick-ups laden das Tauchequipment und uns ein, und wir fahren zum Hafen in Laguna. Wir sind noch alle etwas verhalten miteinander, aber das wird sich im Laufe des Vormittages schnell ändern. Am Hafen sind wir dann auch sehr schnell wieder in Ägypten. In Dahab ist das Leben auf Pause, wie es ein Musikerfreund vor einigen Tagen bemerkte. Am Hafen aber werden unsere Taschen und auf dem Boot unsere Ausweise überprüft. Das Tauchboot ist nicht, wie ich es angenommen hatte, nur für unser Team von der Tauchbasis, sondern es fahren noch mehr Ausflügler zum Schnorcheln mit. Einige Gäste, traditionell gekleidet, also die Frauen, waren schon an Bord. Unser Team findet sich auf dem sogenannten Trockendeck ein und beobachtet neu eintreffende Mitreisende.


Wir schauen uns mehr oder weniger entsetzt an.


Eine Gruppe Jugendlicher wartet vor dem Boot. In einem Alter, in dem Kopf, Körper und Gliedmaßen noch nicht wieder so recht zusammen passen und das Gehabe sehr cool sein soll, aufgrund der pubertierenden Wachstumsphase aber sehr lächerlich aussieht. Verkleidet sind sie als Gangsta. Die Art von Jugendlichen, die sich in Kairo einen Spaß daraus machen, Frauen zu belästigen und das lustig finden. Wir schauen uns an, vor allem wir drei Frauen ob unserer freizügigen Badebekleidung. Als es nach einer Stunde traumhafter Bootsfahrt darum geht, ins Wasser zu springen, braucht man uns nicht viel zu erklären. Alle notwendigen Handgriffe und Dinge, die auf einem Taucherboot zu beachten sind, waren wieder präsent. Das Briefing geht daher ruckzuck, unsere Taucher waren schon längst beim Tauchgang und wir springen von der Plattform in türkis-blaues Wasser. Das Briefing für die Jugendlichen und Ägypter dauert länger. Wir kommen von unserem Schnorchelgang schon wieder zurück, als die anderen sich erst für das Schnorcheln bereit machen, und was wir dann sehen, macht die Jugendlichen plötzlich sehr verletzlich und sympatisch. Zwei Drittel von ihnen, sowie fast alle weiblichen ägyptischen Gäste können nicht schwimmen und gehen mit Schwimmweste ins Wasser. Einige halten sich krampfhaft an den Rettungsringen fest und lassen sich vom Ehemann oder Guide an der Weste oder am Ring durch das Wasser schieben. Die ach so coolen Gangsta-Jugendlichen sind fast nackig nur mit Badehose und Schwimmweste

bekleidet plötzlich gar nicht mehr so cool. Da hilft auch kein krampfhaftes Festhalten an der Badeleiter. Wir plantschen im Wasser und sehen dem Geschehen zu. Die Situation auf den Nachbarbooten ist ähnlich, zwei Drittel aller müssen mit Schwimmweste ins Wasser. Wir von der Tauchbasis finden das sehr mutig und ich erfahre, dass schwimmen lernen etwas mit Zugang zu einem Pool zu tun hat. Die weltweit in Statistiken kommunizierte Analphabetenrate von Ägypten liegt bei 39%. Wir können davon ausgehen, dass diese Menschen weder Zugang zum Pool oder sonstiger Schwimmgelegenheit haben und die Nichtschwimmerrate ähnlich hoch sein dürfte. Im Wasser haben wir dann alle gemeinsam Spaß und viel gelacht. Was man mit so Flossen und Rettungsringen für Quatsch machen kann.


Die Situation der Jugendlichen ist dann maßgeblich die Ursache für tiefergehende Gespräche. Wie mir denn Ägypten gefällt, ob ich in meinem Buch etwas über Politik geschrieben hätte und dass man selbst auch Deutsch lerne und ähnliches waren erste Anknüpfungspunkte. Ganz vorsichtig kommen wir ins Gespräch, wenn man sich nicht kennt, ist Vorsicht geboten.


Es sind die Ägypter, die zu meiner Überraschung ungewöhnliche Themen ansprechen.


Es ist das erste Mal, dass ich höre, wie ein junger Ägypter von Tel-Aviv schwärmt, vor allem im Vergleich zu Kairo. Und ich erfahre, dass etliche Israelis nach Dahab zum Tauchen kommen. Abou Youssef kennt Israel auch seit vielen Jahren. Im Sinai sind das die nächsten Nachbarn. Von Dahab nach Taba sind es rund 140 km. Ein Thema, was niemand in Kairo ansprechen würde. Da ist Dahab dann doch der liberale Aussteigerort. Umso erstaunlicher die traditionell gekleideten Damen, die in voller Montur zum Schnorcheln gehen und dem Dahab-Spirit eigentlich nicht entsprechen. Hier teilt sich dann die Gesellschaft in jung, liberal und traditionell. Traditionell die im Sinai lebenden Beduinenfamilien, liberal die Sportler, Tauchlehrer, Künstler, Yogalehrer und Autoren.


Näher als Israel ist Saudi-Arabien.


Südlich von Dahab sind es über das Meer 14 Kilometer bis Saudi-Arabien. 7 davon gehören zu Ägypten, 7 zu Saudi-Arabien. Wir treffen uns abends zum Bier in der Blue-Beach-Bar in den nächsten Tagen immer mal wieder. Dort werden dann Schauergeschichten erzählt von Drogenhändlern, die von Ägypten aus nach Saudi-Arabien über das Meer gebracht wurden. Die Händler wurden in Saudi-Arabien gefasst und geköpft. Sagt man. Wahr scheint aber zu sein, dass ein Ägypter mit seinem Kite über die Eid-Feiertage bis nach Saudi-Arabien zu seiner Familie flog und nach den Feiertagen mit seinem Kite wieder wohlbehalten in Laguna landete, unter dem Jubel all seiner Freunde. Wir sprechen über Nachbarländer, Reisebestimmungen, Coronasituation, Drogendealer und über Religion. Etwas, was für Kairo undenkbar wäre. Und ich meine damit, wir reden darüber. Wie über das Wetter, als wäre es das Normalste der Welt. Wir schimpfen nicht, wir beschweren uns nicht, sondern wir unterhalten uns. Auch nicht nur über Ägypten, sondern auch über Europa und den Brexit. Bei uns in der Bar sitzen mit am Tisch Ägypter, Deutsche, Engländer und Italiener. Wie ich denn Frau Merkel finde, werde ich gefragt. Und ehrlicher Weise muss ich zugeben, dass ich keine Meinung zur Frau Merkel habe.


Warum ist das Opferfest ein Grund zum Feiern?


Als einer unserer Tauchlehrer fragt, wann denn das nächste Gebet sei, muss er selbst schmunzeln. "Ja, das ist ungewöhnlich" meint er. Warum er das denn wissen wolle, fragen wir zurück. Er hätte mit einem Beduinenfreund telefoniert und dieser käme ihn zu sehen, aber erst nach dem Gebet. So sind wir beim Thema Religion. Unter anderem sprechen wir über Eid-Al-Adha, dem Opferfest, das in diesen Tagen gefeiert wird. Ich frage, was denn gefeiert würde. Und man erzählt mir die Geschichte von Abraham. So, als wenn jemand erzählte, dass an Weihnachten Jesus geboren sei.


Abraham soll laut Gottes Anweisung seinen Sohn opfern, im letzten Moment muss er es dann aber doch nicht und es wird ein Widder geschlachtet und geopfert. Und daher werden Lämmer, Ziegen und Schafe zu Eid-Al-Adha geschlachtet und gegessen. Warum aber ist das ein Grund zum Feiern? Die Geschichte kennen Christen und Muslime gleichermaßen. Allerdings gibt es einige Unterschiede. Die Bibelstelle ist in Buch 1. Mose 22, 2 zu finden. Theologisch begründet man den Wert dieser Geschichte durch bedingungslosen Gehorsam und Gottvertrauen welches Gott belohnt, indem er den Sohn verschont. Ich frage mich - und stelle fest, dass ich nicht die Einzige mit solchen Gedanken bin - warum Gott so ein Gehorsam überhaupt verlangt. Und dann noch bedingungslos. Er ist doch Gott und sollte doch wissen, ob wir glauben oder nicht. Und immer diese Drohungen und Strafen. Abraham war jedenfalls kein Engel. Er hatte, weil seine Frau Sarah zunächst keine Kinder bekommen konnte, ein uneheliches Kind mit Hagar, den Isamail. Toll. Gott hatte ihm mit Sarah ein Kind verheißen, aber da war wohl noch nichts mit viel Gottvertrauen, wenn er Sarah mit Hagar betrügt, um ein Kind zu haben. Ähnliche Fragen wie ich stellen auch Sabine Rückert und Johanna Haberer in der Podcast-Serie der ZEIT unter dem Titel "Unter Pfarrerstöchtern". Johanna Haberer ist Theologin, Sabine Rückert stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT. Theologisch erklärt Frau Haberer die Abrahamgeschichte ähnlich. Aber gesellschaftlich betrachten die beiden Frauen die Geschichte aus heutiger Perspektive. Und sie fragen, was sich der Sohn wohl dabei gedacht hat, als er drei Tage neben seinem Vater schweigend her läuft und auf den Berg geht und dabei selbst noch das Brennholz trägt. So, wie Jesus später sein eigenes Kreuz tragen musste? Abraham hat auch nichts gesagt. Der Sohn fragte noch, welches Tier denn geschlachtet werden solle und bekam nur etwas Ausflüchtiges zur Antwort. Was hat Sarah gedacht, als die Beiden einfach weg gingen? Aber wer weiß, was die noch alles mit Abraham erduldet hat, von dem wir nichts wissen. Und was bitteschön soll das Ganze? Was kann denn das Kind dafür, wenn Abraham für Gott nicht gehorsam genug ist? Und warum wehrt Abraham sich nicht? Warum ist er immer für Gott verfügbar und sagt sofort "Hier bin ich" als er angesprochen wird? Ist blinder Gehorsam wirklich das, was Gott will? Ich denke, er soll ein liebender Gott sein? Wenn erst gefordert wird, den eigenen Sohn zu töten und erst, wenn man dazu bereit ist, wird man zur Belohnung davon befreit? Das empfinde ich nicht als Belohnung, sondern als Erpressung. Was wäre denn, wenn Abraham gefragt hätte "warum"? Das haben die Pfarrerstöchter nicht diskutiert. Oder wenn er gesagt hätte "nein, mache ich nicht, das Kind hat nichts Böses getan"? Bereits im Kindesalter in der Grundschule hatte ich in meine Bibel geschrieben: Warum erpresst Gott die Menschen? Und sind es nicht doch Mensch-gemachte Geschichten, um andere zu Gehorsam zu bewegen unter Androhung von Strafen und nicht Gottes Geschichten? Letzteres frage ich mich heute noch.


Die Muslime fragen sich etwas ganz anderes.


Sie fragen sich, welchen Sohn Gott gemeint hat. Im Koran steht die Geschichte in der Sure 37 in Vers 102 und 107. Und es wird nur von dem Sohn gesprochen, aber nicht, von welchem. Man war sich im Islam lange uneinig. Ismail, das uneheliche Kind und der Ältere mit Hagar, oder der eheliche Sohn Isaak mit Sarah. Die Bibel spricht von Isaak. Im Koran wird der Name nicht erwähnt, sondern, dass Abraham die Sache mit dem Sohn besprochen haben soll, und der wäre einverstanden gewesen. Araber bezeichnen sich auch gerne als Ismailiten. Es heißt, mit dem Sohn Abrahams wolle Gott ein Volk gründen. Nachdem Ismail - unehelich hin oder her - eben der Ältere ist, sehen die Muslime Ismail als ihren Stammesvater an. Sarah fand das mit Ismail und Hagar wohl doch nicht so lustig und bat Abraham, beide weg zu schicken. In die Wüste mit nur wenig Wasser. Gott hätte beide aber gerettet, und Ismail hätte sogar eine Ägypterin zur Frau genommen. So die muslimische Geschichte von Abraham und seinen beiden Söhnen. Jedenfalls hat Abraham gehorcht, und die Muslime feiern derzeit das Opferfest. Diejenigen, die ich spreche, wissen über das Opferfest auch nicht mehr als viele Christen über Weihnachten.


Angeblich sind jetzt zu Eid die Strände in Dahab gesperrt.


Und unser Tauchguide erzählt, dass morgens tatsächlich auch nur die Taucher Zugang zum Meer hatten. Im Tagesverlauf hätte sich aber alles auf Normalbetrieb eingependelt. "Die Strände sind doch zu" sagt er, und lacht dabei laut. Es ist schön, sich relativ frei unterhalten und freizügig, beispielsweise in kurzer Hose, bewegen zu können, ohne belästigt zu werden. So verbringen wir hier einige Zeit miteinander. Mal mit Gesprächen, mal mit viel Lachen und Spaß. Unter anderem habe ich mir nach dem Flop mit der wasserdichten Tasche jetzt eine Action-Kamera zugelegt. Zunächst im Wasser einfach mal drauf los ausprobiert, dann aber doch die Einstellungen studiert und ein bisschen den Umgang geübt. Eine GoPro ist es nicht, wie ich von meinen Kolleg*innen erfahre. Aber zum Ausprobieren reicht es. Ich musste sowieso in vier verschiedene Läden, um überhaupt so eine Kamera zu ergattern. Wir sprechen über Fotos über und unter Wasser und ich erfahre, dass in der Bucht von Lighthouse eine Art Tauchparcours installiert wurde. Mit einem Elefanten und Ringen zum durchtauchen. Ich bekomme Lust auf das Tauchen in der nächsten Woche und genieße die allabendlichen Treffen in der Blue-Beach-Bar. Vorher muss ich aber noch zum Taucharzt, denn beim Springen von der Plattform war ich einige Meter untergetaucht ohne Druckausgleich und hatte mir im Ohr weh getan. Jetzt an Eid ist es mir eh zu voll und ich genieße das Schnorcheln und das Experimentieren mit meiner neuen Kamera. Hier ist ein Video von einer Mini-Fahrradtour von Eel-Garden über die Mamsha und über Lighthouse zurück. Die Kamera hatte ich auf dem Lenkrad installiert, und bei holperiger Strasse ist auch das Video holperig. Trotzdem gibt es einen kleinen Eindruck vom Leben hier in Dahab am Eid-Al-Adha-Wochenende.





bottom of page