@Nika
Der Spuckbügler hat jetzt eine Sprühflasche
Aktualisiert: 4. Juli 2020
Corona in Kairo
Mohamed ist einer der vielen Bügelmänner in Kairo. In Downtown, nicht weit hinter dem Talaat Harb Platz, bügelt er vor allem die Hemden der Nachbarschaft. Er bedient sich dabei einer alten Tradition, die ihm bei den Hausbewohnern den Spitznamen Spuckbügler eingebracht hat. Zum Dampfbügeln nimmt er einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche, behält den Schluck im Mund und sprüht ihn durch seine Lippen auf die zu bügelnde Wäsche. Seit einiger Zeit benutzt er eine Sprühflasche. Auch bei ihm ist Corona angekommen.
Tagsüber herrscht in Downtown eine trügerische Normalität.
Die Geschäfte sind geöffnet, die Straßenstände verkaufen Brot, Obst und Gemüse. Keifende Weiber in schwarzen Gewändern ziehen ihre Kinder hinter sich her, Paare schleppen Einkaufstüten, junge Männer bieten Duftproben an mit den Worten „good price, get one free“. Beim Zuckerbäcker „Al Abd“ tragen alle Verkäufer und Lieferanten Mundschutz und Einmalhandschuhe, am Eingang werden die Hände der Kunden desinfiziert. Doch dieses Bild ist selten. Geschätzt ein Viertel aller Downtown-Besucher trägt Mundschutz, bei Temperaturen von 40 Grad sieht man aber keine Einweghandschuhe aus Plastik.
In Zamalek, der Nilinsel und Standort vieler Botschaften, haben die Besucherzahlen auf den Straßen abgenommen. Weil viele der Botschaften derzeit nicht oder nur spärlich besetzt sind, weil der, der es sich leisten kann, seit Mitte März im Zweitwohnsitz an der Nordküste sitzt wie Airbnb-Vermieter Mo, weil viele Zuhause bleiben.
Am Stadtrand in Sakkara, an der Grenze zur Wüste hingegen ist tagsüber von Corona nichts zu spüren. Der Alltag im Reitstall nimmt seinen gewohnten Gang. Auch das Iftar, das derzeit allabendliche Fastenbrechen, findet in gewohnter Familienrunde mit Reitstallgästen statt. Allerdings spielt sich dort das Leben ausschließlich an frischer Luft ab. Der benachbarte „Sakkara Country Club“ bleibt seit Wochen geschlossen. So, wie alle Restaurants, Cafes, Clubs, Hotels und Sportstätten in Ägypten seit Mitte März. Schulen werden bis Sommer keinen Präsenzunterricht mehr anbieten.
Was ist Ladenschluss?
Seit einigen Wochen kennt Kairo das, was in Deutschland normal, in Kairo bislang aber undenkbar war. Ladenschlusszeiten. Um 17 Uhr schließen die Geschäfte, ab 21 Uhr zieht in Downtown eine gespenstige Stille ein. Ausgangssperre bis um 6 Uhr morgens. Das ist vor allem im Ramadan ungewöhnlich. Der bisherige Ramadantag sah tagsüber ein Fasten vor, das oft mit Schlafen überbrückt wurde. Zum Iftar trafen sich Familien und Freunde, und es wurde die ganze Nacht gefeiert. Bis zum frühen Morgen, wenn zum Sohour, kurz vor Sonnenaufgang, zum letzten Mal gegessen werden darf. Heute spielen hier und da einige Kinder auf den leeren Straßen Fußball, und einige junge Männer huschen mit dem Fahrrad um die Ecke zum Besuch des Bruders oder zu Freunden. An das fehlende nächtliche Treiben kann man sich gewöhnen.
Ramadan-Tafeln für 2020 eingestellt.
Schmerzhaft aber ist für viele der Ausfall der öffentlichen Iftar-Speisungen. Für Bedürftige spenden, Zakat, gehört als eine der fünf Säulen des Islams zur muslimischen Pflicht im Ramadan. Restaurants, gut situierte Bürger und Institutionen richten daher im Ramadan öffentliche Iftar-Tafeln aus, an denen Bedürftige zum Fastenbrechen speisen können. Social Distancing folgend fallen sie in diesem Jahr aus. Gespendet werden kann an eine der großen Hilfsprojekte.

„Egyptian Food Bank“ oder „Resala“ beispielsweise. Anstatt der Tafeln werden Hilfpakete geschnürt und verteilt. Für eine Spende von 160 Ägyptischen Pfund, umgerechnet derzeit 9,40 Euro, gibt es bei der „Egyptian Food Bank“ eine sogenannte Ramadan Box. Diese beinhaltet 3 kg Reis - 2 kg Nudeln - 2 kg Zucker – 800 g Bohnen - 1 kg Datteln - 1 kg Kichererbsen - 2 Flaschen Öl - 1 Packung Salz - 500 g Käse - 2 Dosen Fleisch. Nachdem die „Egyptian Food Bank“ offiziell als Non-Profit-Organisation registriert und für Ramadanspenden zugelassen ist, werden die Spenden nach islamischem Glauben auch entsprechend belohnt. Die Ramadanspenden sind aber nur ein Teil des „Egyptian Food Bank“-Programms. Ganzjährig, und vor allem auch in Coronazeiten, werden Hilfsbedürftige mit Essen unterstützt. Daran beteiligen sich auch große Firmen wie „Bank of Cairo“, „Pepsi“, „Chipsy“ und andere.
Namhafte Schauspieler unterstützen „Resala“.
Die Organisation „Resala“ fährt ein vergleichbares Hilfsprogramm, wurde aber vor allem dadurch bekannt, dass namhafte Schauspieler die Organisation unterstützen und für sie werben. Eine Vielzahl von weiteren Hilfsaktionen sind über das Land verteilt, die sowohl in Ramadan als auch in Coronazeiten Kinder und sozial schwächere Menschen unterstützen.

Dass Hilfe für Ägypten auch nach Ramadan weiterhin notwendig werden wird, zeigen einige Zahlen. Der Weltalmanach teilt die Erwerbstätigkeit in Ägypten wie folgt ein: 25% Landwirtschaft, 25% Industrie, 50 % Dienstleistungen. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 12,1%. Die Abteilung für Statistik der Wirtschaftskammer Österreich weist aber für 2019 folgende Zahlen aus: Arbeitslosigkeit der Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren 10,1 %, Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren 31,1 %. Die Quote für Selbständige liegt bei 31,3%. Dazu gehören Kleinunternehmer wie Kiosk-Besitzer, Brotverkäufer, Gemüsehändler, Café-Besitzer. Zu den Dienstleistungen zählen vor allem auch der Tourismus. Das Ministerium für Tourismus hatte für das Jahr 2018 8,3 Mio internationale Ankünfte mit 3,3 Mrd USD Einnahmen verzeichnet. Die meisten Menschen in Ägypten spüren Corona weniger anhand von Krankheitssymptomen, sondern vielmehr durch wirtschaftliche Einbußen. Die Regierung hat finanzielle Hilfen zugesagt.
Hilfe ganz anderer Art kommt von Künstlern und jungen Firmen.
Am 15. Mai verzeichnet Ägypten offiziell 11.228 Coronafälle mit 592 Todesfällen. Bei einer Bevölkerung mit knapp 100 Millionen Menschen mag das wenig erscheinen, ist jedoch, wie in allen Ländern weltweit, in Relation zu der Anzahl der erfolgten Tests zu sehen. Die Entwicklungskurve der Coronafälle in Ägypten stimmt mit den Entwicklungskurven anderer Länder weitestgehend überein. Der letzte online verfügbare Report des Gesundheitsministeriums aus 2015 (mit Zahlen von 2013) über die Situation des Gesundheitswesens in Ägypten zeigt 3 Millionen Krankenbehandlungen wegen Fieber mit Isolation, 50.000 Fälle mit akuten Atemwegsbeschwerden und 117.000 Tuberkulosefälle. In einem Land mit vergleichsweise niedrigem Bildungsstand und diesem Gesundheitsbild ist vor allem Information und Aufklärung bezüglich Corona und der hohen Ansteckungsgefahr gefragt.
Dalia Ossama, eine junge Grafikdesignerin und Absolventin der „Deutschen Schule der Boromäerinnen (DSB)“ und der „Deutschen Universität in Kairo (GUC)“, hat bereits im März eine Kampagne auf Instagram veröffentlicht. Zum Thema „Finger weg aus dem Gesicht“ und „Hände waschen“.

Lamia Rady, eine Fashion Designerin, war eine der ersten, die Gesichtsmasken genäht hat. „Egyptian Streets“ berichtete über beide jungen Frauen.
Das „Projekt Nitrous“ stellt regulär per 3D-Druck Mobilitätshilfen für Menschen mit Behinderungen her. Für Hilfe in Coronazeiten haben sie Visiere aus Plastik für Krankenhäuser entwickelt. Sie konnten in Kooperation mit „Ahl Masr Foundation“ 27.000 Gesichtsschutze an 140 Krankenhäuser in verschiedene ägyptische Regionen liefern.
Ashraf, ein Hausmeister in Downtown, bekommt von alldem nichts mit. Bei dem Stichwort Corona zuckt er mit den Schultern. "Er weiß es nicht", sagt er. Sein Sohn, Sherif, 10 Jahre alt, hat sich daran gewöhnt, dass er derzeit keine Schule hat und nicht mehr mit anderen Bewohnern im Aufzug fahren darf. Er hilft dem Vater bei der täglichen Arbeit im 100 Jahre alten Haus mit rund 90 Wohnungen. Die ägyptische Regierung hat einen Drei-Stufen-Plan griffbereit. Eine Prognose ist schwer. Die Ägypter nehmen es gelassen, aber das übliche „ma3lesh“ - mach Dir nichts draus - und das „inshaallah“ - wenn Gott will - kommt derzeit in puncto Corona manchmal doch ein bisschen zögerlicher.