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  • Autorenbild@Nika

Szenario "Endgame Corona" in Ägypten

Ägypten hat den Vorteil, dass bereits Ende Januar - wenn es nicht gerade Unwetterwarnung gibt - die Temperaturen in der Mittagssonne um die 25 Grad betragen. Eine Dokumentation im ZDF erklärte, man habe Coronaviren in eine speichelähnliche Lösung gemischt und für zwei Wochen verwahrt. Einmal bei einer Temperatur von 4 Grad und einmal bei einer Temperatur von 22 Grad. Nach zwei Wochen waren noch fast alle Viren, die bei 4 Grad gelagert waren, vorhanden. In der Lösung, die bei 22 Grad verwahrt wurde, waren fast alle Viren verschwunden. Auch ich hoffe, dass das warme Wetter einen positiven Einfluss auf das Virus haben wird und es mit der Sonne verschwindet. Das mag naiv gedacht sein, und die Realität sieht derzeit auch anders aus.


Einen Lockdown gibt es derzeit in Kairo nicht.


Aber es gibt Maskenpflicht und das Gebot der Abstandshaltung wie überall auf der Welt. Seit dem 3. Januar wurden die Maßnahmen verschärft. Auskunft darüber geben neben dem ägyptischen Gesundheitsministerium beispielsweise auch die Botschaften in Kairo und die Aussenhandelskammer (AHK). Nachstehend einige Beispiele:

„Indoor“ und in Taxis bzw. in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt eine Maskenpflicht. 50 ägyptische Pfund (EGP) (ca. 2,50 Euro) beträgt die Strafe, wenn keine Maske getragen wird. Hochzeiten, Beerdigungen, Festivals und andere Massenveranstaltungen sind verboten. Schulen sind bis zum 20. Februar geschlossen, und der Unterricht findet online statt. Halbjahresferien gibt es vom 16. Januar bis zum 20. Februar für staatliche Schulen, also ohne jeglichen Unterricht. Für Universitäten wurde eine E-Learning-Plattform eingerichtet, die ab dem Sommersemester für alle Universitäten Pflicht sein wird. Lebensmittelläden dürfen immer öffnen, andere Läden von morgens um 7h bis abends um 22h, im Sommer bis 23h. Ok, für Kairo ist das fast wie ein Lockdown. Restaurants und Cafés dürfen mit 50% Kapazität bis Mitternacht geöffnet haben, im Sommer bis nachts um 1h. Sommer ist definiert von Ende April bis Ende September. Shisha ist zu meinem Leidwesen verboten. Wer als Café- oder Restaurantbesitzer gegen die 50%-Kapazitäts-Regel verstößt, muss mit einer Strafe von 4.000 EGP rechnen (ca. 200 Euro). Die Reisevorschriften wurden verschärft. Schon lange gilt, dass man ohne negativen PCR-Test nicht nach Ägypten einreisen darf. Ausgenommen hiervon seien jedoch Sharm-El-Sheikh und Hurghada als Ferienziele. Man könne bei Einreise dort vor Ort einen Test machen und müsse bis zum Erhalt des Testergebnisses in Quarantäne.


Wenn man also derzeit nicht gerade reisen oder heiraten möchte, könnte der Alltag relativ normal in Kairo gelebt werden. Mit Maske und entsprechendem Abstand zu fremden Menschen. Eigentlich. Im Vergleich zu letztem Frühjahr tragen vom Gefühl her in diesen Tagen wesentlich mehr Menschen eine Maske. Dennoch sehe ich mich tagtäglich Situationen ausgeliefert, in denen es räumlich eng ist und erstmal keine Maske getragen wird.


Zum Alltag gehören derzeit wiederkehrende Diskussionen.


Jeden Taxifahrer frage ich seit Jahren „mumkin...?“ und das Ziel meiner Fahrt, beispielsweise nach „Dokki“ (also ob ich mit ihm nach Dokki fahren kann). Antwortet er mit „ja“ oder winkt mich ins Taxi, kommt die nächste Frage: „Funktioniert der Tachometer?" Hinzugekommen ist seit Wochen nun die Frage: „Mumkin kemama?“ was soviel bedeutet wie „Hast Du eine Maske und bist Du auch willig diese ordnungsgemäß zu tragen?“. Nachdem drei Fragen mit „ja“ beantwortet wurden, steige ich ein und fahre ausschließlich mit offenem Fenster. Wenn ich dann den Taxifahrer oft noch bitte, sein Gedudel im Radio leiser zu machen, dann bekomme ich sehr häufig grummelige Kommentare. Ich bin für ihn anstrengend.


So gut es sich organisieren lässt, vermeide ich seit langem Innenräume mit vielen Menschen oder trage dort die FFP2-Maske. An meinem Obststand trägt der Verkäufer auch keine Maske, aber das ist wenigstens draußen. Er stellt meine abgewogenen Waren in seinen Kartoffelkorb, und so kann ich weitestgehend Abstand halten. In dem kleinen Kiosk bei uns im Haus, wo es ausser frischen Sachen irgendwie alles gibt, von Toilettenpapier über Käse, Nutella und Getränken, Milch, Nudeln und Reis, da ist es oft voll und eng. Drei Brüder betreiben den Kiosk. Ayman trägt immer Maske wenn er mich sieht, Mohammed nie. Den dritten sehe ich kaum. Die Jungs, die im Kiosk aushelfen, die tragen auch keine Maske, haben aber täglich Kontakt zu sehr vielen Menschen auf engem Raum. Komme ich in den Kiosk und sehe Ali, 14 Jahre, ohne Maske, frage ich ihn, warum er keine trägt. Er grinst und setzt sich die Maske auf. Kommen Gäste ohne Maske in den Kiosk und ich bezahle gerade, sagt Ayman ihnen, sie mögen warten bis ich weg sei. Mohamed hingegen lacht mich immer aus und macht Witze. Inzwischen aber betrete ich den Kiosk nicht mehr, wenn Mohamed ohne Maske da und es voll ist. Er kommt dann zu mir raus, bringt mir was ich möchte, und ich zahle bei ihm. Die US-Botschaft beschreibt auf ihrer ägyptischen Internetseite, dass die Kapazitäten der intensivmedizinischen Versorgung in Ägypten zu 90% ausgelastet seien. Wirklich lustig finde ich das dann eigentlich nicht mehr. Aber wie soll ich mich da verständlich machen? Zum einen ist mein Arabisch nicht gut genug für medizinische Ausdrücke. Und diejenigen, denen ich mich verständlich machen kann, verstehen es oft trotzdem nicht. Viele Menschen sind nur einige Jahre zur Schule gegangen, das Bildungsniveau ist niedrig. Laut Statista lag im Jahr 2017 die durchschnittliche Analphabetenrate bei 71,17 %. Wie soll man da Corona erklären - ein Virus das man nicht sieht und ohne Symptome ansteckend ist?


Wie Corona enden könnte, erklärt Mai Thi Nguyen-Kim in einer ARD-Sendung.


Wie das mit der Herdenimmunität und den Impfungen funktioniert, wie das alles berechnet wird und wie aus einer Pandemie eine Endemie werden kann, ist Inhalt der Sendung. Ziel wäre eine Endemie, in der Corona quasi heimisch wird, beschreibt Mai, so, wie eine Erkältung oder eine Grippe. Risikopatienten wären durch Impfung geschützt, diejenigen die sich anstecken haben keine schlimmeren Symptome als bei einer Erkältung, und eine Coronaimpfung würde für Kinder im Kindergartenalter automatisch mit angeboten. Das Video hat auf YouTube inzwischen über 1,8 Millionen Klick. Für mich sehr nachvollziehbar, denn die Erklärung kommt verständlich, sachlich und ohne erhobenen Zeigefinger.

Ein Virenträger kann 3 bis 4 weitere Personen anstecken. Die Infektionszahlen sinken erst dann, wenn ein Virenträger weniger als einen Menschen ansteckt. Dieses wird erreicht durch eine sogenannte Herdenimmunität, die für das Coronavirus weit über 50% der Gesamtbevölkerung liegen muss. Man könnte dieses auch erreichen, wenn alle diejenigen, die infiziert sind, sich auskurieren und zuhause bleiben und niemanden mehr anstecken. Leider gibt es auch Corona ohne Symptome, und entweder müssten alle getestet werden oder alle zuhause bleiben. Dann wäre Corona quasi weg. Das mit der Herdenimmunität kostet Zeit. Das mit dem„alle bleiben zuhause bis niemand mehr jemanden anstecken kann“ ist unrealistisch. Außerdem muss es dann nur eine einzige Person geben, die übersehen wurde, dann geht alles wieder von vorne los. Mit Impfungen werden diejenigen zuerst geschützt, bei denen Corona einen schweren Verlauf nehmen kann oder die einer besonders hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. So weit, so gut.


Aber wie funktioniert das in Ägypten?


Ägypten hatte am 3. Februar offiziell 512 neu positiv geteste Personen und 53 Todesfälle. Gezählt werden offiziell die Coronafälle der staatlichen Krankenhäuser. Private Tests, private Krankenhäuser und Militärkrankenhäuser werden nicht mitgezählt. Und diejenigen, die infiziert sind aber sich nicht testen lassen, auch nicht. Somit geben die Zahlen eine Tendenz an. Anfang Januar waren es täglich noch über 1.000 neu positiv getestete Personen.


Ich wollte wissen, wie viele Menschen sich an das Tragen der Masken halten und wie viele nicht. Ich habe Momentaufnahmen gemacht ohne Anspruch darauf, repräsentativ zu sein. Ich zählte und beobachtete im Taxi, im Kiosk, im Café, von meinem Fenster aus, bei den Essenständen auf der Straße. Ich kam zu dem Ergebnis, dass sich das ziemlich genau drittelt. Ein Drittel aller in etwa trug die Maske vorschriftsmäßig, ein Drittel hatte die Maske unter dem Kinn, ein Drittel hatte keine Maske sichtbar bei sich. Die meisten Beobachtungen dabei waren Menschen draußen. Ohne Sortierung nach Geschlecht oder Alter. Einfach so, wie sie mir begegneten. Die Verkehrspolizei überprüft Taxis und zum Teil öffentliche Verkehrsmittel. Weitere Kontrollen konnte ich bislang nicht beobachten.

Basierend auf der Erklärung der ARD-Sendung fürchte ich, dass das, was Ägypten gerade macht, rechnerisch die schlechteste aller Lösungen ist. Aber vielleicht die einzig mögliche. Nachdem der Großteil der Ägypter nach meinen Zufallsbeobachtungen keine Maske trägt und nicht immer ausreichend Abstand einhält, überträgt sich das Virus in diesem Personenkreis immer weiter. Am einfachsten wäre es, niemand trüge eine Maske und alle steckten sich irgendwie an und eine Herdenimmunität würde schnell erreicht. Leider hätte das dann viele Kranke, auch schwer Erkrankte und auch viele Todesfälle zur Folge. Eine Lösung, die man niemandem mit gutem Gewissen vorschlagen kann und will. Nur Theorie. Die andere Lösung, alle bleiben jetzt einige Wochen zuhause bis die Ansteckungsgefahr drastisch reduziert ist, ist genauso unwahrscheinlich und wirtschaftlich undenkbar.


Muss es demnach in Ägypten genauso funktionieren wie in Deutschland?


In Deutschland bleiben - bedingt durch den Lockdown - derzeit viele Menschen zuhause. Diejenigen, die das Haus verlassen, halten sich weitestgehend an Abstandsregeln und tragen Maske. Die Impfungen haben begonnen. So sollte es zumindest sein.


Am 11. Januar berichtete Egypt Today darüber, dass das ägyptische Gesundheitsministerium eine Seite einrichten werde, auf der man sich online für die Corona-Impfung registrieren könne. Egypt Independent berichtete am 10. Januar, die Seite sei live gegangen. Am 25. Januar sollten gemäß Berichterstattung diverser Medien die Impfungen bei medizinischem Personal in Ägypten begonnen haben. Ich finde die Seite http://mohpegypt.com, kann aber nirgendwo einen Link zur Dateneingabe finden. Es heißt dort übersetzt „Registrieren Sie sich bald“.

Seite des ägyptischen Gesundheitsministeriums zur Registrierung für eine Corona-Impfung, Stand 4.2.2021

Ein Corona-PCR-Test bei einer privaten Ärztin oder Arzt kostet ungefähr 1.500 - 2.000 EGP, ca. 75 - 100 Euro. Das Durchschnittseinkommen Ägyptens lag laut Statista pro Kopf bei ca. 2.600 US-Dollar (2017). Die Zahlen von 2018 der Seite Länderdateninfo sprechen von 200 Euro monatlich oder 2.400 Euro jährlich als Durchschnittseinkommen. In den staatlichen Krankenhäusern zahlt man nichts für die Behandlung, die Kapazitäten und Mittel sind jedoch begrenzt. Wie hoch die Kosten für die Impfung in Ägypten sein werden, oder ob diese kostenlos für die Ägypter erfolgen wird, konnte ich nicht herausfinden.


Meine Befürchtung ist, dass nur für ca. 1/3 der Bevölkerung die Corona-Lösung aussehen wird wie in Deutschland. Sie halten Abstand, sie tragen Masken, sie lassen sich impfen.


Sollten sich die wirtschaftlich Schwächeren keine Impfung leisten können und sie eventuell dann noch zu der von mir beobachteten Gruppe „Menschen ohne Maske“ gehören, dann wird für diese Gruppe die Herdenimmunität die Lösung sein müssen. Mit allen traurigen Eventualitäten und der Zeit, die es dauern wird. In diesem Fall würde es dann noch lange eine Maskenpflicht und Verzicht auf Shisha geben. Die Maskenpflicht noch strenger zu kontrollieren, wäre eine andere Möglichkeit, stößt aber auf organisatorische Grenzen und oft auf Unverständnis. Anfang Januar hatte die ägyptische Regierung angekündigt, zumindest die notwendige Quarantäne von positiv Getesteten schärfer zu kontrollieren. Das Bewusstsein ist vorhanden.


Eine völlig pragmatische Lösung wäre, Corona für beendet zu erklären. Wenn es wieder wärmer wird und erste Impfungen vorgenommen wurden und möglich sind. Eine Lösung, die einige Ägypter:innen aus meinem Bekanntenkreis durchaus für möglich halten. Auch das liefe letztendlich für Ungeimpfte und Maskenlose dann auf Herdenimmunität hinaus. "Hanshouf" sagen die Ägypter voller Gottvertrauen - wir werden sehen. Mir wäre meine naive Lösung am liebsten: Das Virus verschwindet mit der zunehmenden Wärme.

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