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Yogamatte, Windeln und Co

Heute morgen aufgewacht ohne Wecker. Das erste Mal seit über zwei Wochen, denn es galt, Abgabetermine einzuhalten. Vier Ratgeber waren geplant, zehn sind es geworden. Ratgeber? Ja, Ratgeber. Für die Online-Seiten einer österreichischen Zeitung.


Ratgeber und Serviceseiten gehören zum Ressort Wirtschaftsjournalismus


Ich erinnere mich an meine Hausaufgabe zu diesem Thema. Ich stellte in einem Vergleich Fahrdienste wie Uber und Careem dem Taxifahren in Kairo gegenüber. Gefragt waren neben Ratgebertext auch eine Tabelle mit Kriterien, Aufzählungen und Empfehlungen. Aktientipps oder der Bericht über eine Hauptversammlung hätte auch zum Thema gehört, aber man konnte in der Hausaufgabe nicht von jedem Lernenden entsprechende Fachkenntnisse aus der Finanzwelt voraussetzen. Bei den jetzigen Ratgebern werden mir die Themen vorgegeben, gemeinsam mit der erwarteten Textlänge und dem Briefing, was alles mit rein gehört. Zum einen soll der Ratgeber natürlich diejenigen Fragen beantworten, nach denen die Leser online suchen. Zum anderen möchte die Zeitung, dass, wenn jemand beispielsweise online nach Kinderwagen sucht, er in Google als erstes die Seite der Zeitung angezeigt bekommt. Dieser Teil ist dann der Marketingpart an der Arbeit.


Von Journalisten werden auch IT- und Social-Media-Kenntnisse erwartet


Im Zuge der Digitalisierung und der Entwicklung der Online-Medien hat sich das Berufsbild des Journalisten verändert. Die Zeiten, in denen ein Journalist mit Bleistift und Block los zog und Geschichten aufschrieb, seien vorbei. Vielmehr werden crossmediale Fähigkeiten erwartet, schriebt der Deutsche Journalisten Verband (DJV) in seinem Artikel über Arbeitsmarkt und Berufschancen für Journalisten. „Die ideale Mischung scheint aus speziellen, profunden Sachkenntnissen in bestimmten Wissensgebieten zu bestehen – bei gleichzeitiger flexibler Umsetzungskompetenz, also breit gefächerter Fachkenntnis in den journalistischen Arbeitsbereichen und neuen Medientechniken“ heißt es weiter. Rund ein Viertel aller fest angestellten Journalisten seien im Bereich Public Relations und Online-Medien tätig. Und genau hier liegt gemäß Journalistenverband auch eine Gefahr. Es bestünde die Gefahr, dass die Neutralität des Journalisten verloren geht. Wenn sich die Berufsfelder Marketing

Journalismus und Marketing hat sich in den letzten Jahrzehnten vor allem durch die Digitalisierung verändert.

und Journalismus vermischen, werden die Grenzen fließend. Der Deutsche Journalisten Verband merkt an: „Besonders deutlich wird das am Beispiel der Vermischung zwischen Journalismus und digitaler Technik (crossmediale Produktionen in Wort, Bild und Ton), an der Vermischung von Journalismus und Unterhaltung (Infotainment, Boulevardisierung) sowie an der Vermischung zwischen Journalismus und Werbung bzw. PR in allen Medien (Schleichwerbung, PR-geprägte Themensetzung, Übernahme von Pressemitteilungen).“ Ein Journalist muss neutral und objektiv sein, es sei denn er schreibt einen Kommentar (oder eine Kolumne). „Die Arbeitsbedingungen müssen nach DJV-Ansicht so gestaltet sein, dass die eigentlichen journalistischen Aufgaben – Beschaffung, Prüfung, Bewertung und Vermittlung von Informationen – nicht durch andere Tätigkeiten überfrachtet werden oder durch Multitasking in ihrer Qualität zu kurz kommen. Gleichzeitig in Wort, Bild und Ton für die Zeitung, die Homepage, das App und das Lokalradio zu berichten, dabei noch soziale Netzwerke zu bedienen und zu twittern – das überfordert und geht zu Lasten der Berichterstattungsqualität", so Ulrike Kaiser für den DJV. Leider stellen Redaktionen immer weniger feste Redakteure an, gut die Hälfte aller Journalisten arbeitet freiberuflich. Daher sehen sich etliche Journalisten gezwungen, als Pressereferent oder im Marketing nebenberuflich tätig zu sein.


Serviceseiten und Kundenempfehlungen gehören zum Marketing 4.0


Wenn man sich die Entwicklung des Marketing ansieht, dann standen zunächst die Produkte und Marken im Vordergrund. Jeder erinnert sich an Puddingwerbung von Dr. Oetker. Das Produkt im Vordergund, Marketing 1.0, vertikale Kommunikation von Dr. Oetker an alle. Das Marketing 2.0, das ich vor immerhin dreißig Jahren kennengelernt hatte, entdeckte die Diversität des Kunden. Wer zu viel wiegt braucht Pudding ohne Zucker, und wer mit Koffein abends schlecht einschläft einen Kaffee Hag. Die Marketing-Ps „Product-Prices-Places-Promotion" definierten wesentlich die Distributionsprozesse. „Wer kauft was wann wo zu welchem Preis und warum?" war ausschlaggebend. Die weitere Entwicklung ging mit Marketing 3.0 in Richtung Service und Kundenbedürfnisse. Kernkompetenzen wurden um Services und Dienstleistungen erweitert, die mit dem Kernprodukt zu tun haben und den Kunden zum Kauf des Kernproduktes animieren sollen. Ein auch von Philip Kotler, den ich im Kotler/Bliemel-Lehrwerk an der Uni Freiburg las, wo er als Marketingpapst gehandelt wurde, immer gern gewähltes Beispiel ist Starbucks. Das Kernprodukt ist Kaffee, die Nebenprodukte amerikanische Kuchen und Merchandising und der Service die Sitzgelegenheiten. Die Kommunikation, so Herr Kotler im aktuellen Marketing 4.0-Buch, war aber immer noch vertikal von Hersteller an Kunden.


Bei Marketing 4.0 reden alle mit


Im Rahmen der Digitalisierung hat sich im Wesentlichen die Kommunikationsebene von vertikal zu horizontal verschoben. Online-Plattfomen ermöglichen unzählige Vertriebsmöglichkeiten, Kundenbewertungen können über einen Markterfolg entscheiden, Kundenfeedback wirkt sich auf die Produktgestaltung aus, die Kommunikation mit dem Kunden erfolgt direkt online, Privatpersonen, sogenannte Influencer machen Werbung und und und. Das, was die Marketinglandschaft verändert hat, ist letztendlich für den Verbraucher verwirrend. Emotionen werden zunehmend mit Produkten verknüpft. Sound Branding hat in den letzten zehn Jahren die Markenpolitik erobert. Produktentscheidungen sollen auf Basis von positiven Erinnerungen, beispielsweise an einen Song, und nicht mehr auf Basis von Informationen getroffen werden. Denn dem potentiellen Kunden fällt es im Fakten- und Fakedschungel schwer, die relevanten Informationen heraus zu filtern.


Und da kommen wieder die Ratgeber ins Spiel


Ratgeber und Serviceseiten wollen im Produktwirrwar dem Kunden mit Kaufberatung helfen. Allzu oft stehen diese Serviceseiten jedoch in der Kritik. Sie seien vom Hersteller oder der Vertriebsplattform gekauft und eigentlich Werbung und keine objektive Beratung. Und tatsächlich gibt es unzählige Internetseiten und Blogs, die sich testsieger-„produktname“.de

Influencer stürzen sich besonders gerne auf Kosmetikprodukte.

oder ähnlich nennen. Ohne jemals getestet zu haben und auf denen lediglich erwähnt wird, dass dieses oder jenes Produkt der Testsieger von Stiftung Warentest sei und man den sofort kaufen könne, wenn man jetzt hier klickt. Die Absicht der Seite wird sehr schnell klar. Auch auf der Seite der Zeitung, auf der meine Ratgeber veröffentlicht werden, finden sich Produkttabellen, und unten in der Produkttabelle verschiedene Plattformen, auf denen man das Wunschprodukt dann kaufen kann. Und natürlich verdient die Zeitung mit, wenn jemand über die Seite der Zeitung bei Amazon, idealo, eBay und anderen Seiten einkauft. Das sollte aber jedem klar sein, der erwartet, dass man Online-Artikel von Zeitungen kostenfrei im Internet lesen kann. Wenn keine oder weniger Zeitungen gekauft werden, woher soll das Geld für qualitativen Journalismus kommen? Ratgeber und Serviceseiten sind eine Möglichkeit, qualitative Informationen zu liefern und sich entsprechend zu refinanzieren. Selbst namhafte Magazine wie Focus und Stern, Computerbild und Chip bieten Online-Kaufberatungen an.


Sind Ratgeber denn jetzt seriös oder nicht?


Die Antwort lautet wie so oft im Leben: „Kommt darauf an“. Meine selbstverständlich ja. Denn ich werde ordentlich bezahlt und vertrete immer noch eine gewisse Ethik. Ich lüge nicht, auch nicht für Produkte, ich recherchiere gründlich und gebe Quellen an. So, wie man das als ordentliche Journalistin eben macht. Ich lese zu jedem Produkt den Test der Stiftung Warentest. Den kostenpflichtigen, denn wir haben Zugang dazu. Dann folgt der Test von Öko-Test, der im Wesentlichen auf Schadstoffe eingeht. Schreibe ich über Musikinstrumente, höre ich mir auf Youtube die unterschiedlichen Klänge an. Ich lese Produktspezifikationen der Hersteller, Fachzeitschriften und lese Kundenkommentare und -bewertungen. Alleine darüber könnte ich einen eigenen Artikel, ach was, ein Buch schreiben. Wenn ich in kleineren Ratgebern auch die Produkttabelle selbst anlege, direkt im Online-Tool übrigens, dann stelle ich Herstellerangaben nebeneinander. Bewerte ich, dann auf Basis von gesundem Menschenverstand, meistens jedoch auf Basis von Kundenfeedback. Meine Lieblingsantwort auf Fragen bei einem Online-Händler ist: „Das weiß ich nicht“. Eine typische Frage kann sein: „Sind in Ihrem Kunststoff Weichmacher enthalten?“, die sind nämlich meist gesundheitsschädlich. Und da bekommt man tatsächlich die Antwort von Lieschen Müller „Das weiß ich nicht“. Da möchte man dann sehr gerne zurück schreiben: „Dann schreib halt nichts“, denn das will niemand lesen. Ich bin dazu über gegangen, einem Tipp eines Kollegen zu folgen und nur noch die mittel bewerteten Kundenmeinungen zu lesen. Die Super-Bewertungen könnten bezahlt sein, bei den schlechten Bewertungen war womöglich jemand sauer, weil das Produkt beschädigt ankam. Beispielsweise. Und wenn für mich jemand die Vorrecherche gemacht hat und meine Aufgabe das Schreiben des Textes ist, dann recherchiere ich die Stichpunkte nach. Beim Thema Yogamatte fiel das Stichwort „Hamburg“. Was hat eine Yogamatte mit Hamburg zu tun? Ganz einfach. In Hamburg, aber auch in München, sitzen findige Unternehmensgründer, die mit ihrem Startup nachhaltige Yogamatten herstellen, beispielsweise aus recycelten PET-Flaschen.


Ethik muss man sich aber leisten können


Ich arbeite für eine Verlagsgruppe, die ich für absolut seriös halte und bei der meiner Meinung nach auch alles mit rechten Dingen zu geht. Vertraglich, finanziell und inhaltlich. Ich werde pro Text bezahlt, und das bedeutet, ich kann mir die Zeit selbst einteilen und recherchieren, so viel wie ich das für richtig halte. Bei Musikinstrumenten muss ich natürlich weniger recherchieren, als bei einem Laufband. Es gibt Beratungen, da wurde getestet, und dann weisen wir nach, dass getestet wurde. Wenn wir nicht testen, sondern nur Herstellerangaben nebeneinander stellen und Testergebnisse von seriösen Anbietern wie Stiftung Warentest vergleichen, dann nennen wir das auch Vergleich. Wir haben Zugänge zu Fotodatenbanken, die wir bezahlen und bei denen wir die Bildquelle angeben, wir haben Zugang zu Recherchedatenbanken für wichtige Keywords, um heraus zu finden, wonach Leser gerade suchen und welche Fragen sie online stellen. Es wäre naiv zu denken, wir wollten damit kein Geld verdienen.


Aber es gibt Grenzen, zumindest für mich


Mir ist wichtig, für eine Verlagsgesellschaft und nicht für einen Textbroker zu arbeiten. Aufträge für x Cent pro Wort lehne ich ab. Wie soll ich für 2-3 Cent pro Wort, das sind pro Normseite dann maximal 6 bis 9 Euro, arbeiten? Dafür kann man keine Qualität liefern. Unsinnige Angebote lehne ich auch ab. Beispielsweise: Hier ist ein Text, den Sie nur umschreiben müssen. Es muss der Inhalt gleich bleiben, aber das muss neu geschrieben werden. Drei Texte so ungefähr 350 Wörter, das sind 1.000 Wörter dafür zahlen wir 7 Euro. Wie bitte? Pro Normseite sind es 250 bis 300 Wörter, also drei bis vier Seiten, das ist ein Seitenlohn von 2 bis 3 Euro. Nein danke. Aber das "nein danke" muss man sich leisten können. Ebenfalls abgelehnt habe ich den Job als Texterin für sogenannte Pop-Kultur-News, „Bored Panda“ oder „Bored Daddy“ beispielsweise. Ich weiß gar nicht, was die gezahlt hätten. Aber die haben so massiv in das Briefing eingegriffen, dass ich es unter vorsätzlicher Irreführung verzeichne. Es sollten Bildunterschriften gefunden werden, die den Leser

Qualitativer Journalismus will bezahlt werden.

veranlassen sollen, den Artikel zu öffnen. Und zwar um jeden Preis. Das Bild muss nicht original zum Text sein und es muss Klicks bringen. Dazu soll man den Kunden auf die falsche Fährte führen, die man dann im Artikel auflöst. Der Artikel wird aber nicht als Artikel geschrieben, sondern als Häppchen. Jedes Häppchen auf einer separaten Seite, durch die der Leser sich durchklicken muss. Klar, mehr Seiten, mehr Werbefläche. Jedes Häppchen muss mit einer Frage abschließen, die auf der nächsten Seite beantwortet wird. „Wollen Sie wissen, wie die Mutter Ihr Kind misshandelt hat? Hier klicken und weiterlesen“. Und das hat dann für mich auch unter dem Begriff Pop-Kultur nichts mehr mit News zu tun. Auf Englisch war es auch noch, also auch hier ein "nein danke".


Ratgeber sind super


Ich schrieb mit meiner Lehrerin die mich durch das Fernstudium begleitet hat. "Die ZEIT ist nicht unerreichbar", schrieb sie. Aber ich solle klein anfangen und lernen, was den Alltag des Schreibens von der Theorie unterscheidet. Für mich sind die Vergleiche und Ratgeber ein großes Glück. Schreiben ist Arbeit geworden. Nicht mehr nur Lernen oder Blog als Tagebuch schreiben. Die Zusammenarbeit mit der Redaktion und dem Lektorat, die Eingabe ins Backend, das Einhalten von Deadlines, das Recherchieren und Formulieren, das alles bekommt nach und nach Routine. Und das ist super. Außerdem lerne ich total spannende Dinge und deren Hintergründe kennen. Kalimbas und Windeln, Plattenspieler mit Direktantrieb, Hochbeete und Laufschuhe. Wenn man dabei noch im Strandcafé sitzen darf, dann ist das doch ein großes Glück. Trotzdem ist ab morgen vor allem Schnorcheln und Tauchen angesagt.


PS: Und wenn die Ratgeber dann online sind, geb ich Bescheid.

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