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Die KI ist heute sehr geschwätzig

Die KI ist heute sehr geschwätzig

Nicht nur in den Medien, auch im Co-Working, in der Consoleya in Downtown Kairo, ist KI, künstliche Intelligenz, oder AI, artificial intelligence, ein Thema. Die jungen Menschen um mich herum sind häufig Programmierer, und wenn ich sie frage, was sie denn arbeiten, dann lautet die Antwort häufig: "Ich erstelle eine Schnittstelle von einer KI zu unserem Unternehmen." Auch an meiner Arbeit geht das Thema KI nicht spurlos vorbei, sodass ich heute ein wenig Licht ins Dunkel bringen möchte. Ganz praxisnah berichte ich aus meinem Alltag als Journalistin und aus dem Bereich der Content-Erstellung, die ab und zu anfällt - in Zusammenarbeit mit einer sogenannten künstlichen Intelligenz. So ganz neu ist das Thema künstliche Intelligenz eigentlich gar nicht. Wer bereits einmal versucht hat, mit einem Mobilfunkanbieter oder einem Reisevermittler zu chatten, der wird vielleicht festgestellt haben, dass der Chat nicht persönlich beantwortet wird. Solche Chatbots werden bereits seit 1960 entwickelt, wurden aber erst etwa ab dem Jahr 2010 bekannt, als Siri und Alexa in unser Leben traten. Computergestützte Anwendungen funktionieren in der Regel so, dass sie auf eine Datenbank mit Informationen zugreifen, und auf Aufforderung, entweder durch einen Sprachbefehl, einen Chat-Text oder einen Prompt, wie die Arbeitsaufforderungen bei ChatGPT heißen, die gewünschte Information ausgeben. Besonders gängig sind neben Chat-Bots unter anderem Übersetzungsprogramme im Internet oder als App. Auch ChatGPT macht im Wesentlichen nichts anderes, als auf eine Datenbank zuzugreifen und gewünschte Informationen auszugeben. Das Neue an ChatGPT sind jedoch zwei Dinge. Zum einen steht ChatGPT der Öffentlichkeit zur Verfügung und kann ohne Programmierung wie eine Suchmaschine bedient werden. Zudem kann ChatGPT Texte verfassen, die so klingen, als wären sie von Menschen geschrieben. Angeblich. Und dann kann ChatGPT Feedback aufnehmen uns sich merken, beispielsweise wenn man das Programm mit einem Daumen hoch für einen guten Text lobt oder mit Daumen runter kritisiert. Es ist auch möglich, einen Kommentar zur Qualität des Textes als Feedback zu verfassen. Der größte Sprach-Bot neben ChatGPT ist Bing Der Unterschied zwischen beiden liegt nicht nur beim Inhaber. ChatGPT ist eine OpenSource-Plattform OpenAI, Bing gehört Microsoft. Der Unterschied zwischen beiden Modellen liegt darin, dass Bing direkt auf das Internet zugreift, während ChatGPT die Oberfläche einer riesigen Datenbank ist. ChatGPT wird das aber ändern und kooperiert zukünftig mit Bing. Damit ist es dann auch möglich, mit Chat GPT aktuelle Daten zu erhalten. Bislang geht das nur über einen Umweg. Frage ich ChatGPT zu Informationen über die Krönung von Prinz Charles, dann bekomme ich folgende Antwort: Beim ChatGPT-Seminar des Deutschen Journalistenverbandes wurde zudem erwähnt, dass es bei der Datenbankpflege von OpenAI in punkto Menschenrechte nicht immer ganz ordentlich zuginge. Im Internet finden sich Berichte, unter anderem basierend auf Recherchen der Times, dass unterbezahlte Kenianer brutale Internetinhalte für ChatGPT filtern müssten. So intelligent, dass das System von alleine lernt, ist es nämlich nicht. Es kann immer nur das, was in der Datenbank vorhanden ist. Abgesehen davon, dass derzeit ChatGPT nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge ist, kann es wahr von falsch nicht unterscheiden. Und diesen Hinweis bekommt man auch immer dann, wenn man ChatGPT öffnet. Daher kommt es dann auch vor, dass ChatGPT von einem Thema gar keine Ahnung hat oder einfach Unsinn erzählt. Neben Chatprogrammen und Sprachsteuerung wird sogenannte KI für Übersetzungstools, Bildgenerierung, Antivirusprogramme und jede Menge Spaßprogramme verwendet. Für seriös halte ich KI-Programme dann, wenn sie über eine Schnittstelle in einem Unternehmen integriert sind, zum Beispiels als Chatbot für eine Reiseagentur. Als absolute Abzocke sehe ich Bild- und Spaßprogramme im Internet oder als App an, mit denen sich zwar lustige Bildchen gestalten lassen, die aber sofort neben einer Registrierung auch einer Zahlung bedürfen. Zu meinem Entsetzen wird eine KI-Software aber oft auch schon bei der Auswahl in einem Bewerbungsverfahren verwendet. Es gibt Screening-Software, die Lebensläufe auf bestimmte Keywords untersucht, beispielsweise wie "Bachelor" oder "Diplom". Sind diese Worte im Lebenslauf nicht enthalten, dann wird er gar nicht erst von einem menschlichen Wesen gelesen. Was für eine traurige Welt. So Firmen werden zukünftig dann auf künstliche Intelligenz etliche Aufgaben übertragen, und es wird eine immer größere Herausforderung für Verbraucher*innen und Leser*innen werden, um qualitativ hochwertig informiert zu werden. Glaubt man der Werbung, dann wird unser Leben demnächst von künstlicher Intelligenz gemanagt Wenn man derzeit jedoch tagtäglich mit einer sogenannten künstlichen Intelligenz zu tun hat, dann darf daran, zumindest zum derzeitigen Stand der Dinge, kräftig gezweifelt werden. Zum einen ist ChatGPT keine Suchmaschine. Im Zweifelsfall sind die gelieferten Informationen, auch, wenn sie in einem hübschen Text verpackt sind, schlichtweg falsch. ChatGPT kann nicht zwischen wahr und falsch unterscheiden. Für das Programm sind alle Informationen Daten, und das Programm rechnet mit den vorhandenen Daten ohne Bewertung. Und dann kommt es immer auf den Befehl an, den die KI erhält, und ob sie diesen auch versteht. Dafür gibt es inzwischen einen neuen Beruf, nämlich den eines Prompt-Redakteurs. Ein Prompt-Redakteur schreibt Befehle für künstliche Intelligenzen, damit die Ergebnisse, die daraus entstehen, dann auch wirklich intelligent sind. Dass sich die Suchergebnisse wirklich immer nur auf die Inhalte der Datenbank beziehen, wurde mir dieser Tage beim Chat mit einem Robot mit Vodafone Deutschland deutlich. Ich wollte wissen, wo ich bitte die PIN zu meinen Sprachnachrichten finde, wenn ich diese aus dem Ausland abhören möchte. Also frage ich: "Wo finde ich die PIN für meine Mobilbox?" Und werde darauf hin gefragt: "Benötigen Sie die PUK für Ihre SIM-Karte?" Der Chatbot hatte meine Anfrage mit einer verlorenen SIM-PIN assoziiert und wollte mir mit der Ensperr-PIN, der PUK, weiterhelfen. Selbst mein erneutes Nachfragen nach der PIN für die Sprachnachrichten brachte immer wieder das gleiche Ergebnis. Was aber kann denn die künstliche Intelligenz nun? Sie kann zum Beispiel Texte schreiben, Texte umschreiben, Themen vorschlagen. Prima, dachte ich. Ich hatte gelernt, dass man dem ChatGPT sagen kann, es solle sich vorstellen, es sei ein Verbraucherjournalist. Ich frage also ChatGPT folgendes: Du bist Verbraucherjournalist. Schreibe eine pfiffige Einleitung für einen Ratgeber zum Thema Kinderbett. Und die Antwort, die ich bekam, lautete wie folgt: Kinderbetten - die Schlafstätten, in denen Träume entstehen und Abenteuer wahr werden! Für Eltern ist die Wahl des richtigen Kinderbetts eine Entscheidung von großer Bedeutung. Schließlich soll es nicht nur gemütlich und sicher sein, sondern auch den kleinen Entdeckern den besten Start in die Welt des Schlafens ermöglichen. Aber keine Sorge, liebe Eltern! In diesem Ratgeber werden wir gemeinsam die geheimen Welten der Kinderbetten erkunden, von bequemen Matratzen über niedliche Designs bis hin zu praktischen Funktionen, die den Alltag erleichtern. Also schnallt euch an, denn es wird eine aufregende Reise durch die magische Welt der Kinderbetten! Der Informationsgehalt dieses Textes liegt bei Null. Ich korrigiere mich und verbessere meinen Prompt: Du bist Verbraucherjournalist. Schreibe eine sachliche Einleitung für einen Ratgeber zum Thema Kinderbett. Verwende dabei wichtige Kaufkriterien und schreibe nicht mehr als 100 Wörter. Und siehe an, was ich dann erhalte, ist gar nicht mal so schlecht: Ein Kinderbett ist ein wichtiger Bestandteil der Kinderzimmerausstattung, der sowohl Komfort als auch Sicherheit gewährleisten sollte. Bei der Auswahl des richtigen Kinderbetts sind verschiedene Kaufkriterien zu beachten, wie zum Beispiel die Größe des Betts, die Qualität der Matratze, die Stabilität des Rahmens und die Verwendung schadstofffreier Materialien. Dieser Ratgeber bietet einen Überblick über die wichtigsten Aspekte beim Kauf eines Kinderbetts, um Eltern bei der Entscheidung zu unterstützen und ihren Kindern einen sicheren und erholsamen Schlaf zu ermöglichen. Das zeigt, wie wichtig der Mensch ist, der dem System einen Befehl gibt. Eine künstliche Intelligenz ist derzeit oft nur so intelligent wie der Mensch, der sie nutzt. Dabei ist so eine KI manchmal trotzig wie ein kleines Kind und versteht das Wort "nicht", "ohne", "keine" oder "nein" beispielsweise nicht. Beim Umschreiben von Texten sollte die KI nicht werblich sein. Heraus kamen Texte wie "die überaus hohe Leistung des Produktes XY überraschte uns, und daher empfehlen wir dieses Produkt für ich-weiß-nicht-was-Enthusiasten." Mich hat ein Rasenmäher oder eine Küchenmaschine jedenfalls noch nie überrascht. Mit solchen Texten sind die KIs dann auch nicht kompetenter, als sogenannte Content-Writer, die oft nur angelernt sind und für ein paar Cent pro Wort Texte schreiben, bei denen sich die Nackenhaare aufstellen. "Dieses Produkt bietet enorm viele Vorteile, welche wenn Sie das Produkt nutzen entstehen. In unserem Ratgeber erklären wir Ihnen warum das Produkt besser ist wie andere und Sie finden genau das Produkt für ihre Bedürfnisse". Leider ist das Internet voll mit so einem Unsinn. Enorm viele Vorteile können konkretisiert und mit Zahlen unterfüttert werden. Es heißt immer noch besser als, und für welche Bedürfnisse soll ich ein Produkt denn sonst aussuchen, wenn nicht für mich. Ich wollte die Fragen einer meiner Ratgeber umschreiben lassen. Ich fand, ich hatte zu oft das Wort "welche" verwendet: Welche Arten von diesem Produkt gibt es, auf welche Ausstattung sollte man achten, und welche Tipps gibt es zur Verwendung dieses Produktes. Das hat ChatGPT einfach nicht kapiert, und bei jeder Textumschreibung kam immer noch das Wort "welche" vor. Trotzig wie ein kleines Kind. KI kann zum Erstellen von Content genutzt werden Um zu verstehen, wozu man eine KI halbwegs sinnvoll einsetzen kann, ist es wichtig zu verstehen, was ein Content-Writer und was ein Journalist tut. Content bedeutet Inhalt, und so könnte man meinen, Content-Writer sind alle, die irgendwas ins Internet stellen. Aber Content-Writer erhalten Informationen, beispielsweise von einem Hersteller zu einem Produkt, und bereiten diese Informationen für das Internet auf. Content-Writer schreiben beispielsweise Produktzusammenfassungen, Bildbeschreibungen oder Gebrauchsanweisungen. Wenn eine Produktbeschreibung nun nicht nur auf einer Internetseite, sondern auf mehreren erscheinen soll, wäre es blöd, wenn auf jeder Internetseite zu dem Rasenmäher 123 der gleiche Text stünde. Also kann eine KI den Text ja einfach ein paar Mal umschreiben. Allerdings muss man eine KI dabei ganz schön im Auge behalten und jeden Text manuell korrigieren. Ab und zu schreibt die KI dann nämlich plötzlich auf Englisch. Oder sie schreibt unter den Text: "Dieser Text wurde ganz ohne werbliche Ausdrücke erstellt". Brav. Will aber niemand lesen. Auch sind die Keywords, die in einem Text eventuell vorkommen, für den Leser wirklich nicht interessant und sollten nicht am Ende des Textes aufgelistet werden. Sieht dann komisch aus. Der Hinweis eines Kollegen, die KI sei heute sehr geschwätzig, bezog sich dann auf die Länge eines Textes. Ein Text mit bis zu 60 Wörtern wurde mit 170 Wörtern umgeschrieben, natürlich nur mit bla bla. Hier zur Unterhaltung einige nervige KI-Formulierungen, die einfach nur gestrichen gehören: Bei unserem Vergleich ist uns aufgefallen, dass die Dosierung möglicherweise nicht für jede Person ausreichend ist. (ach was, echt jetzt?) Das hat uns überrascht. (nö, ehrlich gesagt nicht) Unsere Beobachtungen zeigen, dass dieses Produkt für bestimmte Anwender von Interesse sein könnte. (das ist genauso sinnvoll wie "enorm viele Vorteile", außerdem beobachten wir nichts) Einziger Nachteil ist... (nun kommt eine eigene Ergänzung) (schön, dass der Leser nun die Nachteile selbst einsetzen darf) Journalisten sind keine Werbeabteilung für Politiker, Firmen oder Künstler Journalisten hingegen, sowohl Verbraucherjournalisten als auch politische Korrespondenten oder Kultur- oder Reisejournalisten, recherchieren, analysieren, ordnen ein und informieren sachlich. Als Verbaucherjournalistin schaue ich mir zum Beispiel nicht ein Produkt an, sondern mehr als zehn. Ich lese Ergebnisse der Stiftung Warentest und von Öko-Test und schaue Hersteller-Videos, wie man Bohrmaschinen verwendet. Manchmal frage ich auch Menschen, die sich damit auskennen, wie zum Beispiel eine Dekupiersäge genutzt wird. Dann ordne ich das ein und gebe sachliche Informationen. Ich bewerbe niemals bestimmte Produkte. Sondern schreibe zum Beispiel: "Wenn Sie einen Garten mit einer Rasenfläche von 1.000 qm haben, dann ist ein Rasenmäher mit einer Schnittbreite von über 50 cm eine gute Wahl. Möchten Sie zudem verhindern, dass Sie mit dem Rasenmäher über das Stromkabel fahren, dann bietet sich ein akkubetriebener Rasenmäher an". Ich sage nie, nimm den Rasenmäher von Hersteller A oder Hersteller B. Ich gebe aber den Hinweis, dass der Akku im Zweifelsfall mehrere Stunden durchhalten muss, weil es sonst inklusive Akkuladezeit drei Tage dauern kann, bis man mit dem Rasenmähen fertig ist. Etwas lapidar gesagt. Auch ein politischer Korrespondent macht im Wesentlichen nichts anderes. Er recherchiert und analysiert Informationen, ordnet diese ein und informiert. Content-Writer schreiben für bestimmte Firmen oder Produkte. Journalisten aber sind nicht die Marketing-Abteilung für Politiker oder Regierungen, Firmen oder Produkte, Künstler oder Veranstaltungen. Leider sind Computerprogramme wesentlich günstiger als Mitarbeiter. Das wird dazu führen, dass im Bereich der Werbung, der Social Media und der Content-Erstellung vermehrt KI eingesetzt wird. Je nachdem, wie sich die KIs entwickeln, kann das zum einen dazu führen, dass die Texte immer gleichtöniger werden. Dass Informationen nicht auf Wahrheitsgehalt überprüft werden und es noch mehr Fake-News geben wird. Und dass diese Informationen dann wild kommentiert und diskutiert werden, ohne, dass es eine sachliche Grundlage dafür gibt. Einige KIs können aber ganz schön kreativ sein und in Sekundenschnelle Ideen entwickeln, aus denen sich etwas machen lässt. Songtexte, Themenvorschläge, Formulierungen, Aufzählungen, Tabellen, Bewerbungstexte und mehr. Und das oft gar nicht so schlecht. Qualitativen, also gut recherchierten und sorgfältig geschriebenen oder in Bild und Ton aufbereiteten Journalismus wird, meiner Meinung nach aus heutiger Sicht, die KI so schnell nicht ersetzen können. Die KI ist nicht dabei, wenn ein Konzert gespielt wird. Sie erfasst keine Emotionen, die während eines Konzertes entstehen. Eine KI kann keine Emotionen. Sie führt auch keine Interviews, bei denen es auf die feinen menschlichen Nuancen, auf ein Stirnrunzeln oder ein verschmitztes Lächeln, ankommt. Und eine KI wird unser Leben nie beherrschen, wenn wir das nicht wollen. Denn eine KI ist ein Computer, und den kann man ausschalten und sich stattdessen mit echten Menschen unterhalten oder ein Stück spazieren gehen. Die Tipps für den Spaziergang gibt dazu aber gerne Alexa, Siri oder ChatGPT.

(K)ein Reisetagebuch

(K)ein Reisetagebuch

Ich bin eingeladen als Jurorin zum Wacken Metal Battle nach Tel Aviv. Dass die verantwortliche Organisatorin des Wacken Metal Battle für Middle East, meistens wohnhaft in Kairo, als Jurorin nach Tel Aviv in Israel fliegt, das ist politisch eigentlich nicht vorgesehen. Dank meines deutschen Passes ist es dennoch möglich, und somit wollten wir das politisch eigentlich Undenkbare möglich machen und mit der Musik ein Zeichen des Friedens und der Völkerverständigung setzen. Neben all dem Vergnügen, das wir uns für die Tage in Tel Aviv versprachen. Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus Israel, Schweden, Österreich/Ungarn und Kaukasien/Türkei sollte ich in dem israelischen Finale des Metal Battles über die Gewinnerband mitentscheiden. Wir wollten aber am Freitag vorher nach Jerusalem und natürlich auch an den Strand in Tel Aviv und eine gute Zeit unter Promoter-Kollegen verbringen. Im Rahmen meiner Recherche über die Stadt und auch mit der Vorfreude auf Jerusalem wurde Tel Aviv in den letzten Wochen eine Art Sehnsuchtsort. So fuhr ich dann gestern am späten Vormittag gut gelaunt mit einem Fahrer durch Kairo und freute mich, dass alles wie immer im Mai so schön blüht. Ich war froh und auch dankbar, dass ich hier leben darf und unglaublich stolz, auch nach Tel Aviv eingeladen zu sein. Strahlend saß ich im Taxi, nichtsahnend, dass ich bereits nachts wieder zurück in Kairo sein würde. Ausnahmsweise werde ich über meine Reise nach Tel Aviv einmal das schreiben, was ich sonst nie schreibe - ein Reisetagebuch Reisetagebücher und -blogs gibt es bereits haufenweise im Internet, sodass ich eigentlich der Meinung bin, dass es nicht noch einen Reiseblog benötigt. Aufgrund der besonderen Situation, nämlich als verantwortliche Organisatorin des Metal Battles in Middle East in Israel als Jurorin dabei zu sein, wollte ich jedoch nicht nur über die Reise schreiben, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen werfen. Musikalisch, organisatorisch, menschlich. Und postete aus dem Cafe des Terminal 1 in Kairo freudig über meine geplanten Notizen. Bis ich dort im Cafe saß, war es aber schon anstrengend. Das Terminal 1 ist der alte Flughafen von Kairo und wird vorrangig für Inlandsflüge genutzt. Es ist weniger schick und irgendwie sehr leer und kalt. Mir fiel bereits bei der Ankunft auf, dass dort fast nur Ägypter anzutrafen waren. Zwei Stunden vor Abflug stand ich beim Security-Check, und dorthin hatten sich auch einige Touristen verirrt. Diese waren aber etwas verunsichert, weil der Security-Check einfach nicht geöffnet wurde und der verantwortliche Security-Officer mit seinem Smartphone beschäftigt war und nur eine Antwort kannte - lissa (noch nicht). Erst, nachdem sich einige Gäste beschwert hatten, bequemte man sich, den Security-Check in Betrieb zu nehmen. Nach dem Check-In war es aber noch nicht möglich, ans Gate zu gelangen, denn auch dieser Security-Check war geschlossen und dann erst per Aufruf für die Gäste nach Sharm-El-Sheikh zugänglich. Am Gate fiel mir auf, wie ohrenbetäubend laut es war, weil gefühlt jeder Ägypter entweder über Lautsprecher Tiktok-Videos oder Reels auf Insta oder Facebook ansah oder lauthals, natürlich auch über Lautsprecher, mit irgendjemandem telefonierte. Die wenigen Touristen waren sichtlich genervt, und ich war froh, dass es nicht nur mir so ging. Der Flug ging dann aber schnell und problemlos, und wir hatten einen großartigen Anflug auf den südlichen Sinai. Vom Flugzeug aus waren das türkisfarbene Wasser, die Riffs und die weißen Tauchbote sehr gut erkennbar. Und wieder einmal dachte ich, was für ein tolles Land das doch ist. Ich kann es nicht leiden, wenn mir jemand ungefragt zu nahe kommt In Sharm El Sheikh ging alles ruckzuck, und fünf Minuten nach der Landung stand ich bereits draußen. Ich fragte mich durch, wo ich denn zum Anschlussflug hin müsse, und nach fünf Minuten hatte ich die Abflughalle gefunden. An der Information sagte man mir, ich solle ab 17 Uhr wieder zum Check-In zurück sein. Bis dahin waren gut zwei Stunden Zeit, und ich entschied, am Strand eine Shisha zu rauchen. Vor der Abflughalle fuhr gerade ein Taxi, nach Fahrgästen Ausschau haltend, vorbei. Ich rief "Taxi", verhandelte kurz den Preis, 300 LE, viel zu teuer aber für Sharm leider inzwischen üblich, und stieg ein. Nach ein paar Metern sprang ein Mann, der vom Haupttaxistand vor der anderen Ankunftshalle kam, auf das Taxi zu. Er schrie den Fahrer an und dann schrie er mich an. Was ich für einen Preis ausgemacht hätte und er wäre hier der Chef und ich müsse ein anderes Taxi nehmen. Ich sagte zu ihm, ich wäre zufrieden und wollte in dem Taxi bleiben. Soweit so gut. Dann lief aber dieser Mensch um das Taxi herum und riss meine Autotür auf - und da bin ich richtig wütend geworden. Ich kenne das noch aus den ersten Jahren aus Kairo. Wenn man damals, so 2013/2014 zu den Pyramiden fuhr, sprangen einige Männer während der Zufahrt zum Eingang des Areals auf die Motorhaube des Taxis, um den ahnungslosen Touristen zu erzählen, das Hinauffahren wäre verboten und man müsse mir ihrer Pferdekutsche fahren. Das war natürlich Unsinn und hat viele Touristen verschreckt und eine sehr unangenehme Erinnerung an den Pryramidenbesuch hinterlassen, das Internet ist voll von solchen Berichten. Ich tat also in dieser Situation das Einzige was hilft. Ich hab ihn angeschrieben er solle weggehen. Dann bin ich ausgestiegen und hab ihn so lange angeschrien, bis die Polizei kam. Das ursprüngliche Taxi war weg, aber siehe da, ich durfte dann das nächste Taxi, das, wie viele andere auch, langsam nach Kundschaft Ausschau haltend an der Abflughalle vorbei fuhr, mitfahren. Dieser Taxifahrer brachte mich nicht nur in Strandnähe, sondern gab mir gottlob auch seine Visitenkarte. Ich rauchte eine sündhaft teure Shisha für 250 LE mit Blick auf den Strand und freute mich über diese Pause. Der besagte Taxifahrer holte mich am vereinbarten Treffpunkt um fünf wieder ab, und ich war pünktlich für die Weiterreise am Security-Check, um nach Tel Aviv aufzubrechen. Welchen Pass haben Sie? Die Security-Kontrolle verlief problemlos und schnell. Ich traf einen Mitreisenden wieder, der mit mir aus Kairo angereist war. Nach einem kurzen Hallo stellte sich heraus, dass er auch nach Tel Aviv fliegt. Wir gingen gemeinsam zu den Check-In-Schaltern. Dort wunderten wir uns, warum wir hinter Absperrbändern warten mussten. Eine junge Frau mit sehr guten Englischkenntnissen ließ immer nur zwei Personen durch, die dann eine Befragung über sich ergehen lassen mussten. Als wir dann an der Reihe waren, wurden wir als erstes gefragt, was für Pässe wir hätten und woher wir kämen. Die Dame suchte in meinem Pass nach meinem Einreisestempel. Nachdem ich regelmäßig zwischen Deutschland und Kairo hin und her fliege, war sie etwas verwirrt von den vielen Stempeln und ich fragte sie, ob sie mein Visum, meine Residenz-Karte, sehen wolle. Ob ich denn heute aus Deutschland in Sharm gelandet sei, wollte sie wissen. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich aus Kairo angereist sei. Sie nahm meinen Pass und mein Visum und meinte, wir sollten am Rand warten, der Manager müsse entscheiden, ob ich fliegen dürfe. Für meine Zufallsbekanntschaft galt das gleiche. Ich war verwirrt und verunsichert und schickte als erstes eine Nachricht an unsere Promoter-Gruppe, die auf meine Ankunft wartete. Unsere Ausweise wurden an einen Manager weiter gegeben. Die Dame sagte uns, dass man uns Bescheid gäbe, ob wir fliegen dürfen. Wenn ja, würde sie uns interviewen, wenn nicht dann leider nicht. Wir wurden an die Seite gezogen, und man reichte uns nacheinander ein Telefon. Am anderen Ende war ein Manager, der sich aber namentlich nicht vorstellte, uns aber erklärte, wir dürften diesen Flug nicht nehmen. Wir waren pünktlich am Check-In, wir hatten gültige Tickets und gültige Ausweisdokumente. Aber man verweigerte uns und noch weiteren Passagieren den Flug nach Tel Aviv. Mit der Begründung, dass das ein Charter-Flug sei, den wir nicht nehmen dürften, weil das aufgrund eines Gesetzes verboten sei. Mein Kollege in Tel Aviv hatte inzwischen versucht, das Büro von Israir in Tel Aviv zu erreichen, aufgrund eines Feiertags war da aber niemand mehr. In Sharm El Sheikh hat die Fluggesellschaft kein Büro. Wir waren also den ägyptischen Managern ausgeliefert. Der zugegebenermaßen freundliche Officer erklärte uns, wir könnten mir dem Auto nach Tel Aviv fahren - obwohl es dort gerade keinen Bus oder einen Mietwagen gab - oder mit Turkish Airlines über Istanbul fliegen. Unser Entsetzen war groß, denn finanzieren müßten wir die Flüge natürlich selbst. Es gäbe aber eine Chance, eine Ausnahme von der Aviation Security zu bekommen. Wir wurden mehr oder weniger freundlich wieder rückwärts aus dem Security-Bereich herausbegleitet und fanden uns später an einem Infobüro wieder. Dort erklärten uns gleich drei freundliche aber handlungsunfähige Männer, das wäre ein Gesetz, wir hätten Pech gehabt, dass uns weder das Reisebüro noch die Airline vorab darüber informiert hatten. Fast klang es ein wenig stolz, als sie berichteten, dass sie einen Tag vorher über 50 amerikanische Fluggäste wieder weggeschickt hätten. Was uns aufgeregt hat war die Tatsache, dass man sich weigerte, uns ein Dokument auszustellen, auf dem bestätigt wird, dass man sich in Sharm El Sheikh geweigert hatte, uns den Flug antreten zu lassen. Wir bekamen das allübliche ma3lesh zu hören und durften ein Foto vom Ausweis des Officers machen. Wir sollen sagen, er hätte gesagt, wir dürfen nicht fliegen. Und dann standen wir da. In diesem Moment fiel es mir sehr schwer, dieses Land noch schön zu finden. In diesem Moment konnten keine Strände und keine Blüten punkten, sondern es wurde mal wieder sehr deutlich, wie anstrengend in Kairo und Ägypten alles ist. Es gibt in Ägypten tatsächlich ein Gesetz bezüglich Charterflüge In den Unterlagen von Opodo, über die ich, inklusive eines sogenannten Prime-Services, gebucht hatte, gab es einen Hinweis, ich hätte eine lange Wartezeit und ich müsse mein Gepäck abholen und wieder komplett neu einchecken. Dass ich einen Charterflug gebucht hatte, war nirgendwo vermerkt. Ich bekam von Opodo einen Hinweis auf die neue Flugzeit wegen der Sommerzeitumstellung, das war es. Ich hatte im Internet noch geschaut, weil ich wissen wollte, ob ich online einchecken könne. Der auch von mir gebuchte Flug geht drei mal wöchentlich von Sharm nach Tel Aviv, im Sommer angeblich fünf mal. Ich war also davon ausgegangen, dass es sich um einen regulären Flug handelt. Ich muss dazu sagen, dass ich seit dreißig Jahren geschäftlich und privat fliege, zwischen Tokio, New York und San Jose, nach Rio, in ganz Europa, in Ägypten, nach Thailand, Abu Dhabi und Beirut. Aber sowas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Alle Rückflüge nach Kairo waren ausgebucht. Bei Opodo war über die App niemand zu erreichen, das Netz war schlecht, das Login klappte nicht, Telefonnummern standen nicht zur Verfügung, Chat war nicht erreichbar. Toller Prime-Service. Geistesgegenwärtig buchte ich den nächsten Bus zurück nach Kairo, rief den Taxifahrer erneut an und ließ mich zur GoBus-Station fahren. Nachts um drei war ich zurück in Kairo. Geschockt, ernüchtert, frustriert und übermüdet. Tatsächlich gibt es in Ägypten ein Gesetz der Aviation Security, das besagt, dass man aus Ägypten heraus nur dann einen Charterflug nehmen darf, wenn man auch mit einem Charterflug eingereist ist. Ist man bereits länger in Ägpyten, kann einem die Rückreise mit einem Charterflug verweigert werden. Genau das war passiert. Wäre ich gestern aus Deutschland in Sharm El Sheik gelandet, also international angereist, hätte ich nach Tel Aviv fliegen dürfen. Wäre ich mit einem Charterflug von Israir eingereist, hätte ich auch fliegen dürfen. Ich war aus München wie immer über Kairo mit einem regulären Flug eingereist und stand dann dumm und nichtsahnend da. Den Hinweis über das Charter-Gesetz kann man auch auf den Reisehinweisen der Deutschen Botschaft nachlesen. Doch um das Gesetz einzuhalten, muss man erstmal wissen, dass man angeblich einen Charterflug gebucht hat. In Israel ist derzeit Feiertag, sodass derzeit keine Informationen dazu erhältlich sind. Opodo hat meines Erachtens hier grob fahrlässig gehandelt, und ich habe bereits mein Geld zurückverlangt. Warum es dieses Gesetz gibt, habe ich bislang noch nicht recherchieren können. Auch fehlt mir noch ein Statement von Israir, warum ihre Kunden nicht informiert werden. Ich weiß nur, dass es bei Charter- und Linienflügen darum geht, wer die Verantwortung trägt. Bei Charterflügen ist für die Sicherheit der Passagiere und das Gepäck das Reisebüro verantwortlich, bei Linienflügen die Airline. Ich fühlte mich gestern total verunsichert. Erst dachte ich, es gäbe ein Problem mit meinem Ausweis. Habe ich doch einmal etwas geschrieben, was nicht erwünscht ist? Stehe ich auf irgendeiner Blacklist als Journalistin? Ich halte mich bewusst bedeckt mit meinen Veröffentlichungen und schreibe sehr dezent, aber das sind dennoch immer meine ersten Gedanken. Meine weiteren Gedanken kreisten um Bekannte von mir, die sich derzeit sorgen, ob sie das Visum für ihren Auftritt in Wacken erhalten. Das erste Mal in meinem Leben konnte ich mir halbwegs vorstellen, wie es sich anfühlen könnte, wenn ein Visum abgelehnt wird. Aus Gründen, die rechtlich vielleicht korrekt aber menschlich wenig nachvollziehbar sind. Da steht man dann da und darf nicht reisen. Was für eine Welt ist das? Und ich frage mich, ob dieses Land trotzdem noch schön ist, oder ob ich nicht doch ein neues Zuhause benötige. Tel Aviv jedenfalls ist ein Sehnsuchtsort geblieben, und ich habe heute viele Tränen vergossen bei dem Gedanken daran, dass meine Kollegen heute in Jerusalem waren. Tel Aviv steht auf meiner Bucket List, und spätestens im Herbst werde ich meinen Besuch dort nachholen. Jetzt erst recht.

Die Männer von Erasing Mankind

Die Männer von Erasing Mankind

"Chadi - Chaaadiiiii" rufen die noch verbleibenden Gäste im Jazzclub610 in Sheikh Zayed bei Kairo gemeinsam mit der Moderatorin. Eine lange Nacht geht zu Ende, und Chadi soll bringen, worauf alle warten: Den Namen der Gewinnerband vom Metal Battle in Middle East/Ägypten. Es ist fast zehn Jahre her, seitdem im Herbst 2013 zum ersten Mal ägyptische Bands aufgefordert waren, sich für den Bandnachwuchswettbewerb des legendären Wacken-Festivals zu bewerben. Seitdem fand der Metal Battle in Middle East fünf Mal statt - drei Mal in Ägypten, einmal im Libanon und einmal im Libanon und parallel in Dubai. Den besten Erfolg erzielte 2015 die Band Blaakyum aus Beirut. Sie erreichten im Finale in Wacken den dritten Platz. Auch in Ägypten hat man inzwischen verstanden - beim W:O:A Metal Battle geht es um was. Nämlich darum, im Finale des Metal Battle auf dem Wacken-Festival auftreten zu dürfen. Jedes Jahr reisen Gewinnerbands aus 30 Ländern und Regionen von überall aus der Welt an. Selbst in der Ukraine wird in diesem Jahr der Metal Battle stattfinden. Die Promoter, die verantwortlichen Organisatoren der weltweiten Metal Battle, sind die Juroren im Finale. Neben der eigenen Performance auf dem Festival haben die Bands die Möglichkeiten zum Networken in der Metal Battle Lounge und sind natürlich beim Festival im Publikum mit dabei, um die großen Vorbilder live zu erleben. Somit ist es kein Wunder, dass alle teilnehmenden Bands am Abend des 4. März in Kairo nervös sind. Aus sechs Bewerbungen wurden vier Bands ausgewählt, im Metal Battle teilzunehmen - Bovem und Mythos aus Alexandria, Medic und Erasing Mankind aus Kairo. Als Opening Act eröffnete die Newcomerband Catharsis mit ihrem allerersten Liveauftritt überhaupt den Abend, als Gastband performte Kato Hafez aus Alexandria. Der Abend gestaltete sich nicht nur zu einem sowieso in Ägypten seltenen Metalkonzert, sondern nach Corona, wie es im Nachhinein hieß, zu einem Revival der Metal-Szene in Ägypten. An dem Abend fand eine Art Szenetreff statt. Nicht nur Fans waren gekommen, sondern auch Vertreter zahlreicher weiterer bekannter ägyptischer Metalbands wie Scarab, Crescent, Segadoras, Wujood oder Nathyr, teilweise mit ihren Ehefrauen. Auf der Bühne stand nun pro Band ein Vertreter und nahm das Erinnerungsposter mit den Unterschriften aller Juroren in Empfang. Die Jury wurde von Chadi Ashraf geleitet, der seinerseits das erste Mal im Organisationsteam rund um die verantwortliche Promoterin für Middle East, Monika Bremer, mit dabei war. Seit 2018 zählt zum Organisationsteam ausserdem Immanuel Sulzer, der als Artist Manager die Bands sowohl im Metal Battle vor Ort in Middle East als auch in Wacken betreut und rechtzeitig auf das VIP-Campinggelände als auch Backstage auf die Bühne begleitet. Zur Jury gehörten in 2023 Chadi Ashraf, Co-Promoter in Middle East, Event- und Medienmanager Ismaeel Attallah, Frontman von Crescent, der ersten Gewinnerband in Middle East/Ägypten überhaupt Amr Hefny, Inhaber des Ganoub-Studios, Studio-Heimat zahlreicher Bands in Kairo Donia Taher, Gitarristin der Newcomer-Band Catharsis und Schlagzeugerin Asaad Nessim, Gitarrist der alteingesessenen und berühmten Band Wust el Balad Chadi überreichte an Monika endlich das kleine grüne Kästchen, das den Namen der Gewinnerband beinhaltete. Erste enttäuschte Gesichter gab es, als es hieß, die Gewinnerband sei aus Kairo. Als Monika sich zu Sayed umdrehte und ihm mitteilte "Sayed, your dream comes true, you are going to Wacken, it is Erasing Mankind", da waren die Reaktionen der Bandmitglieder ganz unterschiedliche. Bahaa, der Gitarrist der Band, stand bei der Bekanntgabe hinten im Saal bei seinen Freunden und sprang anschließend wie ein HB-Männchen durch den Jazzclub. Frontman Sayed nahm das Mikrofon und schrie hinein, wie f***ing awesome das alles und wie f***ing drunk er sei, was ihm aber niemand an dem Abend übelnahm. Tarabeshi und Karim guckten völlig verdattert und konnten noch gar nicht glauben, was da gerade passiert war. Es mag sein, dass der Abend des Metal Battle der zunächst spannendste Teil des Wettbewerbs war, der anstrengendste Teil liegt jetzt aber noch vor der Band. Jedes teilnehmende Land und jede teilnehmende Region hat im weltweiten Metal Battle seine eigenen Herausforderungen. Im muslimisch geprägten Ägypten zählt seit Jahrzehnten der latent immer mitschwingende Vorwurf des Satanismus zu den permanenten Herausforderungen. Verhaftungen und abgebrochene Konzerte konnten in den letzten 20 Jahren immer wieder beobachtet werden. In diesem Jahr erschwert die wirtschaftliche Situation Ägyptens den Metal Battle für die Bands. Konnte man im letzten Herbst einen Euro noch für etwa 20 ägyptische Pfund erwerben, so kostet der Euro mittlerweile 32 LE, auf dem Schwarzmarkt entsprechend mehr, denn US-Dollar und Euro sind in Ägypten knapp. Dazu kommt eine Inflationsrate von etwa 20 %. Daher heisst es jetzt neben Visa beantragen und üben üben üben auch zu schauen, ob sich in Deutschland weitere Auftrittsmöglichkeiten ergeben, um die anfallenden Reisekosten dadurch teilweise abdecken zu können. Eine große Hilfe ist für den Metal Battle die Wacken-Foundation, die kurzerhand entschieden hat, die lokalen Veranstaltungen vor Ort finanziell zu unterstützen und dadurch realisierbar zu machen. Weil Ägypten aufgrund der zu beantragenden Visa den Metal Battle sehr frühzeitig durchgeführt hat, übernimmt die Wacken-Foundation nun die Kosten der Reiseversicherung und der Visa. Für den Wacken-Topf mag die dreistellige Summe zu den kleineren Zuschüssen gehören, für Erasing Mankind sprechen wir von einem Monatsgehalt. Doch wer sind die Männer von Erasing Mankind? Alle vier Bandmitglieder standen dankenswerter Weise für Interviews zur Verfügung. Unter anderem wurden sie gefragt, wie sie zur Musik und zu Erasing Mankind kamen, was ihre größten Erfolge und Misserfolge aber auch ihre lustigsten Momente waren. Worauf freuen sie sich in Wacken, und was macht ihnen Sorgen? Einig sind sich alle, dass sie jeden Moment in Wacken genießen möchten und sie keinen Moment mit Erasing Mankind bereuen. Sorgen macht ihnen vor allem die instabile Währung, persönlich aber haben sie höchstens Angst vor Grippe durch nasskalten Sommerregen. Sayed Ragai - Vocalist Sayed war nicht zum ersten Mal beim Metal Battle in Ägypten dabei. Bereits 2014 trat er - beim ersten Metal Battle in Ägypten überhaupt - mit seiner damaligen Band Sinprophecy an. Diesmal, mit Erasing Mankind, wollte er seine zweite Chance nutzen. "Make it count" war seine Motivation. Denn wer weiß schon, ob es noch eine dritte Chance für die Teilnahme am Metal Battle geben wird, meinte er. Daher wurde für den diesjährigen Metal Battle täglich geübt und regelmäßig geprobt. Die Band Sinprophecy existiert seit einigen Jahren nicht mehr - einer derjenigen Momente, die Sayed besonders getroffen hat in seiner musikalischen Laufbahn, die seiner Aussage nach voll von Enttäuschungen war. Besonders hart war es für ihn im Jahr 2012. Mit Metalmusik würden sie Satanismus praktizieren lautete die Anklage, als Sayed verhaftet wurde. Er wird nachdenklich und gesteht: "In diesem Moment hatte ich das Gefühl, die Zeit bleibt stehen". Und er hatte schon befürchtet, es gäbe zukünftig keine Metalszene mehr in Ägypten. "Doch schau, wo wir heute stehen", schließt er seine Antwort ab. Seine Liebe zur Musik hat er vor allem seinem Onkel zu verdanken, der ihm in den 90er-Jahren einen Walkman aus den USA mitgebracht hat. Für alle jungen Leserinnen und Leser - ein tragbares Musikabspielgerät für Kassetten. Madonna fand er damals nicht so toll, Michael Jackson war schon besser. Am liebsten hörte er jedoch die sogenannten Cocktail-Tapes, die Best of aus allen möglichen Musikgenres. Anfang der 2000er fing er dann selbst an, Musik zu machen. Er war aber ein lausiger Schlagzeuger, musste er schmunzelnd eingestehen. Während einer Bandprobe griff er eher zufällig zum Mikrofon und stellte fest, dass er eine kraftvolle Stimme hat. Mehr als das Singen selbst liebte er als Vocalist, dass er seine eigenen Texte und somit etwas von sich selbst ausdrücken kann. Das habe ihn so motiviert, dass er mit Leib und Seele Frontman von Erasing Mankind ist, und er weiß, dass er auf der Bühne gesehen und gehört wird. Bahaa El Dahaby - Gitarrist Musik ist für Bahaa Beruf und Berufung. Mit Wacken wird für Bahaa ein Traum wahr, für den er sein tägliches Übepensum verdoppelt hat, gesteht er. Auch seine musikalische Laufbahn begann mit seinem Onkel, der selbst Musiker war und ihn regelmäßig mit zu den Proben ins Studio nahm. Bahaa durfte mit der Band seines Onkels gelegentlich singen. Es stellte sich schnell heraus, dass Singen nicht seine Berufung war, und der Onkel fragte dann vorsichtig, ob er nicht lieber ein Instrument lernen möchte. Er wollte Gitarre spielen und nahm theroretischen und praktischen Unterricht, unter anderem bei Rashad Fahim. Damals war er zwölf. Heute hat er nicht nur sein eigenes Bahaa-El-Dahaby-Quartett, sondern spielte mit namhaften Musikern aus Ägypten wie Ali Al-Hagar und zahlreichen Bands wie Veritatem Solam, Abdeen und anderen. Wer bei Bahaa Gitarrenstunden nehmen möchte, muss sich auf eine Wartezeit von drei Monaten oder länger einstellen, verrät eine befreundete Gitarristin. Ebenso wie auch Sayed erzählt Bahaa die witzige Geschichte von der Bandgründung von Erasing Mankind. Man kannte sich untereinander, machte aber in 2019 keinen Metal. In einer Bar trafen sich Sayed, Tarabeshi und Bahaa bei einem Auftritt zufällig wieder. Sayed war Entertainment Manager in der Bar, Bahaa und Tarabeshi hatten dort einen Auftritt mit einer anderen Band. Man freute sich über das Wiedersehen und verabredete sich für die kommende Woche. Man trank gemeinsam eine Flasche Whiskey, Monkey Shoulder. Die leere Flasche wird bis heute aufbewahrt. Etwas beschwipst stellten die drei fest, dass sich in der Runde gerade ein Vocalist, ein Gitarrist und ein Schlagzeuger befanden und man entschied in Whiskey-seeliger Laune, eine neue Metal-Band zu gründen, Erasing Mankind. Bahaa meinte an dem Abend zu Sayed: "Ey Man, Du bist betrunken. Ich glaube Dir erst, dass Du das wirklich ernst meinst, wenn Du morgen ausgeschlafen hast und mich um 18 Uhr anrufst." Sayed schlief aus und rief Bahaa an und Erasing Mankind war beschlossen. Karim Mounir - Bassist Der Band fehlte bei der Gründung noch ein Bassist. Wie es der Zufall so wollte, trafen sich Karim und Sayed im Vibe-Studio in Dokki, Kairo. Karim wollte ein Soloprojekt aufnehmen, Sayed seine Vocals. Beide kannten sich seit Jahren, Karim war aber eine Zeit lang aus beruflichen Gründen in Dubai. Als Sayed ihm von Erasing Mankind erzählte, war Karim ganz aus dem Häuschen und sofort mit dabei. Bei Karim wurde zuhause immer Musik gespielt, seine Eltern liebten es, Musik zu hören. Unter Freunden wurde Musik getauscht und sich darüber unterhalten. Im Alter von 11 oder 12 wollte Karim ein Instrument lernen. Weil Schlagzeug zu laut und zu teuer war, wurde es ein Bass. Seitdem spielte Karim in Bands wie Karma, Of the Mighty, Circus Monster oder Massive Scar Era. Wirklich enttäuschende Momente in seiner Karriere sieht er keine, doch er wünscht sich, dass es in Ägypten mehr Venues für Metal gäbe und echte Metal-Konzerte mit Mosh-Pits möglich wären. Darauf freut er sich in Wacken mit am meisten. Sorgen oder Bedenken hat er im Hinblick auf Wacken keine. Aber Karim ist der Organisator der Band, der sich auch um die Visa-Termine und alles Administrative kümmert. Da hofft er natürlich, dass seitens der Organisation nichts schief geht. Mostafa El Tarabishi - Schlagzeuger Mostafa ist der einzige Familienvater in der Band. Er fing im Jahr 2004 mit Schlagzeug an. Damals war er 16. Beigebracht hat er es sich selbst und spielte bereits mit den Bands Midjai und Enraged. Sein Traum ist es, mit Erasing Mankind auf Tour zu gehen und auf Festivals zu spielen. Auch für ihn ist Monkey Shoulder das Zauberwort für Erasing Mankind. Er erinnert sich aber auch noch genau an den Moment, als die Band Karim das erste Mal traf. Sie waren in einer Bar und es gab einige Stunden Stromausfall. Weil Mostafa Karim bis dahin noch nicht kannte, nahm er in den ersten Stunden der Begegnung mit Karim nur seine Stimme wahr und wusste nicht, wie Karim aussieht. Die Vorbereitungen für den Metal Battle empfand er als anstrengend, denn neben allen Proben nahm die Band auch noch neue Songs auf. Mostafa ist der Einzige, der auf die Frage, ob es Momente gibt, die er am liebsten löschen möchte, nicht mit "nein, alles ist gut" antwortet. Ihm tut diejenige Zeit leid, die er in seinem Leben nicht dazu genutzt hat, Neues zu lernen. Diese Momente würde er gerne löschen und nochmal neu und sinnvoller gestalten. Die Coronazeit hat zudem einen großen Einschnitt hinterlassen und viele Dinge verändert, die heute anders sein könnten. Bedenken für den Trip nach Wacken hat er keine, aber grundsätzlich sorgt er sich um die wirtschaftliche Situation sowie um Kriege und zukünftige Pandemien. "Make it count" Natürlich wäre es schon hilfreich, wenn es in Ägypten mehr Venues für Live-Auftritte für Metal gäbe. Doch damit in Ägypten Metal-Konzerte wie in anderen Ländern oder Regionen stattfinden könnten, müsste es viel mehr Aufklärung über Metalmusik geben, damit die Fanbase wachsen könnte. Eine größere Fangemeinde würde für die Bands nicht nur Support in ihren Konzerten bedeuten. Mehr Gäste bedeuten auch mehr Einnahmen und höhere Gagen. Zudem kaufen Fans Merchandising und Musik, um ihre Band zu unterstützen. Wäre es möglich, die großen Namen der Metal-Szene wie Nightwish, In Flames oder Opeth für Live-Auftritte nach Ägypten zu holen, dann wären diese Konzerte auch für Sponsoren interessant, und von Sponsoren könnte auch ein Metal Battle in Ägypten profitieren. Die wirtschaftliche Situation lässt derzeit davon aber nur träumen. Der Metal Battle ist daher für die ägyptische Metal-Szene aktuell das Highlight. Denn durch den Metal Battle wird Ägypten Teil der weltweiten Metal-Gemeinschaft, nicht nur, aber vor allem im Finale in Wacken. Für das nächste Jahr ist die Erweiterung des Metal Battle Middle East um Saudi Arabien und Bahrain geplant. Im Winter geht es also auf nach Riad, um mit der Deutschen Botschaft dort vor Ort zu sprechen und vom Entertainment-Ministerium die Genehmigung für einen Metal Battle einzuholen. Wie immer bleibt es spannend.

Heiße Getränke an kalten Tagen

Heiße Getränke an kalten Tagen

Es ist kalt geworden in Kairo. Ja, 10 Grad nachts sind kalt. Tagsüber haben wir zugegebenermaßen allerdings schönstes Frühlingswetter. Dennoch - gegen Abend wird es kühl. Nachdem es alkoholische Wintergetränke wie Glühwein oder Tee mit Rum wenn überhaupt nur auf den deutschen Weihnachtsmärkten erhältlich ist, mache ich mich auf die Suche nach ägyptischen Alternativen. Denn immer nur Tee oder Kaffee ist mir zu langweilig. Ich will aber nicht nur wissen, was man in Kairo im Winter so trinkt, sondern auch wissen, wie man das zubereitet. Daher duftete es in den letzten Tagen in meiner Küche nach Karkadeh, Sahlab und Halabessa. Karkadeh (sprich Karkadieh) ist nichts anderes als getrocknete Hibiskusblüten, aus denen ein Tee gebrüht wird. Dazu werden etwa zwei Blüten für eine Tasse mit heißem Wasser aufgegossen. Nach einer kurzen Ziehzeit, etwa 5 Minuten, wird er warm oder kalt getrunken, mit oder ohne Zucker. Ich persönliche nehme, wenn überhaupt, nur einen kleinen Löffel Honig. Aus den Hibiskusblüten lässt sich auch ein Sirup herstellen, der dann mit heißem oder kaltem Wasser aufgegossen das Karkadeh-Getränk ergibt. Dazu wird ein Kilo Hibiskusblüten mit kaltem Wasser bedeckt und nach belieben mit Zucker gesüßt. Die Masse wird aufgekocht und sollte dann etwa 15 Minuten gut durchkochen. Abgedeckt bleibt der Sud dann über Nacht stehen und zieht durch und kann dann abgeseiht und in Flaschen umgefüllt werden. Aus kaltem Karkadeh-Tee oder -Sirup lässt sich auch Götterspeise oder Gelee zubereiten. Der Hibiskus wird auch als magische sudanesische Rose bezeichnet. Er gehört zur Gruppe der Malvengewächse und trägt leuchtend orange-rote Blüten, die getrocknet eine dunkelrot-violette Farbe hervorbringen. Auch das Getränk hat eine intensive, dunkelrote Farbe und wird daher zum Färben von Süßspeisen genutzt. Hibiskus wächst in tropischer Umgebung und wird in Ägypten beispielsweise im Fayoum oder in Assuan angebaut. Die Blüten werden mit der Hand gepflückt und dann getrocknet. In einem medizinischen ägyptischen Dokument soll der Hibiskus als Tee bereits 1.500 vor Christus erwähnt worden sein und heißt daher auch Tee des Pharaos. Ihm werden Wirkungen wie antibakteriell, entzündungshemmend, antiseptisch, cholesterinsenkend und entschlackend zugeschrieben. Etabliert hat sich der Karkadeh-Drink in Ägypten allerdings unter anderem als Aperitif zu besonderen Gelegenheiten, weil alkoholische Getränke im Islam nicht erwünscht sind. Etwas aufwendiger ist die Zubereitung von Sahlab, einem heißen, eingedickten Milchgetränk mit Gewürzen, Früchten oder Nüssen. Sahlab war schon zu Römerzeiten und im ottomanischen Reich bekannt. Damals wurden als Stärke Orchideen-Zwiebeln verwendet, die dem Getränk den typischen Geschmack verliehen. Heute kommt Maisstärke als Bindemittel zum Einsatz, und der typisch orientalische Geschmack wird durch die Zugabe von Rosenwasser, Kokosflocken oder Mistika, einem ursprünglich griechischen Gewürz aus Baumharz, erzielt. Zur einfachen Zubereitung gibt es im Supermarkt fertige Sahlab-Mischungen, inklusive eines Tütchens mit Kokosflocken und Nüssen. Das Sahlab-Pulver wird in kalte Milch eingerührt, alles unter Rühren kurz aufgekocht, dann in ein Glas gegeben und mit der Kokosflocken-Nussmischung verziert. Ich koche eine frische Zimtstange mit der Mischung mit, und es duftet in der Küche nach Zimt und süßem Milchreis. Tatsächlich ist in der fertigen Mischung neben Zucker und Stärke auch Reispulver enthalten. Eine zuckerfreie Variante stelle ich mir mit eigenen Zutaten zusammen. Ich rühre dazu einen Esslöffel Maisstärke in 200 ml kalte Milch und gebe einen Teelöffel Honig und etwas Vanille dazu. Beim Erhitzen duftet die ganze Küche nach Honigmilch. Neben Kokosflocken und Nüssen füge ich zum Topping noch dunkle und helle Rosinen und Zimt dazu. Ich bin begeistert! Skeptisch bin ich, als ich mich an das traditionelle Halabessa (oder auch Hummus El Sham) wage. Mal wird Halabessa als Suppe bezeichnet, mal als Heißgetränk. Beides ist üblich. Es ist zig Jahre her, dass ein damaliger Kollege, als ich sehr erkältet war, eines Tages ganz stolz mit einem zugebundenen Tütchen in die Schule kam. Der Inhalt des Tütchens war flüssig, orange-rot und es waren Kichererbsen mit dabei. Ein kleiner Strohhalm ragte aus dem Tütchen, und ich sollte das gegen meine Erkältung trinken. Ich war entsetzt und lecker fand ich es kalt auch überhaupt nicht. Meine Begeisterung, das Thema nochmal in Angriff zu nehmen, hält sich auch dann noch in Grenzen, als ich Dalal, unsere deutsche Reiseleiterin, nach dem Rezept frage. Kichererbsen über Nacht einweichen. Und Kreuzkümmel, viel Kreuzkümmel, auch Pfeffer, aber mehr Kreuzkümmel, bleibt mir im Ohr. Toll. Also stapfe ich nochmal los, um Kichererbsen und Kreuzkümmel, auf English Cumin, einzukaufen. Heute morgen waren die Kichererbsen dann gequollen. Ich brate Zwiebeln und viel Knoblauch in Butter an und gebe dann die Kichererbsen und Wasser dazu. Anstatt Tomatenmark verwende ich frische Tomaten, die ich mit heißem Wasser übergieße und dann enthäute. Wann immer es möglich ist, versuche ich, industriell verarbeitete Lebensmittel zu vermeiden. Das Enthäuten der Tomaten geht mir daher leicht von der Hand, weil ich so auch immer meine Nudelsauce selber mache. Ich gebe Salz, Pfeffer und Kreuzkümmel dazu. Je nach Belieben kann auch Chili hinzugefügt werden. Ich finde noch eine trockene Chilischote in meinem Gemüsekorb und schnippel ganz mutig einige Streifen Chili in den Topf - eine sehr gute Entscheidung, wie sich später herausstellt. Die Ägypter kochen das Hummus El Sham häufig übrigens nur mit Salz und stellen weitere Gewürze wie Kreuzkümmel, Chili und Pfeffer separat dazu, damit jeder würzen kann, wie er möchte. Nach gut einer Stunde köcheln ist alles weich, und ich gebe zum Abschmecken noch den Saft von zwei kleinen Zitronen dazu. Als ich den Sud als Getränk in ein kleines Glas abschöpfe, finde ich das immer noch weder ansprechend noch einladend. Irgendwie sieht das Getränk auf Fotos im Internet auch klarer aus als bei mir. Die Kichererbsen, die ich dazu gebe, sind kaum erkennbar. Doch wow. Als ich einen kleinen Schluck wage, bin ich von meiner eigenen Halabessa-Kreation begeistert. Fruchtig tomatig, zitronig mit leichter Chili-Schäfe und mild durch die Kichererbsen. Als Getränk kann der Hummus El Sham bei mir immer noch nicht punkten, aber als Suppe für kalte Tage ist er wärmend und lecker. Mein Fazit nach dem Probieren von Karkadeh, Sahlab und Halabessa: Karkadeh ist schnell gemacht als ein Tee mit einer fruchtigen Geschmacksrichtung. Sirup würde ich mir daraus aber nicht kochen, und ich bin auch kein Fan, Karkadeh süß zu trinken. Heißgetränk-Favorit als Alternative zu Tee oder Kaffee ist Sahlab, gerne auch abends im Café. Am liebsten aber selbstgemacht mit Nüssen und gesüßt mit Honig. Halabessa kann mich nur als Suppe überzeugen mit einer fruchtigen sauer-scharfen Note dank frischen Tomaten, Zitrone und Chili.

COP27 in Ägypten - Was bleibt?

COP27 in Ägypten - Was bleibt?

Vor knapp zwei Wochen endete der 27. Klimagipfel COP27 in Sharm El Sheikh, Ägypten. Die Welt dreht sich weiter, und die Medien konzentrieren sich derzeit auf die Fußballweltmeisterschaft in Katar. Die offiziellen Papiere der COP27 sind verabschiedet. Und, war es das? Zwei Projekte in Ägypten rund um die COP27 als Beispiele für Engagement im Zusammenhang mit der Klimakonferenz. Ägypten hatte im Vorfeld der Konferenz immense Anstrengungen unternommen, um den Ansprüchen eines nachhaltigen Gastgebers gerecht zu werden - in puncto Transport, Unterkunft, Müllmanagement, Energieversorgung und Tourismusmanagement. Unter anderem berichtete jedoch "The National", dass die Vorbereitungen in Sharm El Sheikh, wie beispielsweise die Anschaffung von Elektrobussen und die Einweihung eines neuen Busterminals oder die Installation von Solaranlagen, erst wenige Monate vor der Konferenz begonnen hätten. Allerdings fehlten in der Berichterstattung weitere Hintergründe für die Kurzfristigkeit, sodass es bösartig wäre zu behaupten, man hätte noch schnell das Image aufpolieren wollen. In Kairo kann man bei solchen Schlagwörtern nur die Stirn runzeln angesichts des Alltags in der Millionenstadt. Hier in Downtown hatte man einige Wochen von Beginn der Konferenz einige Fahrradstationen mit Mietfahrrädern installiert und einspurige Fahrradwege mit knallgelben Bumpern markiert. Dass die Radwege vorwiegend von Fußgängern und Mopedfahrern genutzt werden, liegt unter anderem daran, dass die Nutzung von Fahrrädern in Downtown nur marginal zugenommen hat. Unter anderem mag das daran liegen, dass das Mieten der Fahrräder doch etwas umständlich ist. Regelmäßig werden die Fahrräder gewartet, denn es dauerte nur einige Tage, bis die noch nicht mal ausgewickelten Fahrräder als Sitzbank oder die Fahrradkörbe als Abfalleimer zweckentfremdet wurden. Als ich mich erkundige, welche Voraussetzungen für das Mieten notwendig seien, wurde mir von einer jungen Frau an der Mietstation in Al Borsa erklärt, ich müsse eine App herunterladen. Dennoch war ich verwirrt, denn ich fand an den Fahrrädern keinen Code, den ich scannen könnte. Von Deutschland kenne ich die Apps so, dass ich den Code am Fahrrad oder Scooter scanne, dann einen Öffnungscode für das Schloss bekomme und losfahre. In Kairo muss ich in die App die Fahrradnummer eintippen - doch losfahren kann ich dann immer noch nicht. Die Fahrräder sind mit einem mechanischen Schloss gesichert. Etwas verunsichert frage ich die junge Frau, wie ich denn das Schloss öffnen könne. Sie streckt mir grinsend einen Schlüssel entgegen und sagt, sie hätte den Schlüssel. Sie ist quasi die Herrin der Fahrradschlösser an der Station Al Borsa und teilt sich diese Aufgabe mit einem jungen Mann. Außer neuen Fahrradstationen haben wir in Kairo ansonsten die COP27 auch nur in den Medien mitbekommen. Die gefürchteten Demonstrationen am 11. November blieben aus. In Downtown standen an jeder Ecke Polizei, Straßensperren waren zur Hand und Krankenwagen positionierten sich in Reichweite. Außer einem Autokorso, der allerdings lautstark seine Sympathie für und nicht gegen die Regierung kund tat, blieb es allerdings bei der Polizeipräsenz. Das war es jetzt mit der Klimakonferenz? Oder gibt es was, was nachhaltig geblieben ist? Zu zwei Projekten rund um die Konferenz hatte ich Kontakt und frage nach. Weil Momente mit den größten Emotionen am längsten in Erinnerung bleiben, erkundige ich mich zunächst ohne weiteren Hintergrund: "Und? Wie war es in Sharm El Sheikh?". Die eine Antwort lautete: "Cool, aber überall besoffene Russen." Die zweite Antwort war: "Ja, spannend. Aber wir mussten 100 Dollar für das Taxi zum Flughafen zahlen." Diese ersten und eher zufälligen Reaktionen spiegeln leider ein Bild Ägyptens wieder, das sich in der letzten Zeit manifestiert hat. Nachhaltig, aber wohl nicht im positiven Sinne. Die sozialen Hintergründe dafür aufzuzeigen bedarf aber einer weiteren Kolumne und würde hier zu weit führen. Es lohnt sich aber, einen Blick auf die beiden Projekte rund um COP27 zu werfen. Unter der Federführung der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO) in Kairo, mit Urte Mein und Suzanna George als verantwortliche Lehrkräfte, hatten Schülerinnen und Schüler im Rahmen des Projektes MUN (Model United Nations) die COP27 im Vorfeld simuliert. Ich durfte auf dem abschließenden Diplomatenball mit unserer Bigband dabei sein und die Abschlussveranstaltung erleben. Es wurden die Ergebnisse der jeweiligen Diskussionsrunden zu den Themen der COP27 von den jungen Leuten vorgestellt. Das Positive daran war nicht nur, dass sich die Schülerinnen und Schülern mit Themen wie Menschenrechte, Umwelt oder Energieversorgung auseinandersetzen mussten. Oder sich in Diskussionen und Präsentationen übten. Es blieb nicht nur bei der Simulation, sondern Gespräche mit den in Kairo ansässigen Botschafter:innen der verschiedenen Nationen fanden im Rahmen des MUN-Projektes im Tagungshotel in West-Kairo statt. Es war faszinierend zu sehen, wie engagiert und ernsthaft die Themen behandelt wurden und mit wie viel Redegewandtheit und Selbstbewusstsein die abschließenden Präsentationen erfolgten. Berührend und verbunden mit Hoffnung und Optimismus für das Land Ägypten, das im Alltag noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat. Die ARD hat das MUN-Projekt unter anderem in folgendem Beitrag zusammengefasst: Auf ganz andere Art haben sich die Künstlerin Aya Tarek und der Schweizer Musiker Simon Petermann mit dem Thema der Weltklimakonferenz auseinandergesetzt. Unter dem Titel "Waking the Giants" realisierten sie eine audio-visuelle Ausstellung, basierend auf Klimadaten der ETH Zürich. Unterstützt wurde das Projekt unter anderem von der Schweizer Botschaft in Kairo und Pro Helvetia, für die Produktion zeichnete B’sarya for Arts aus Alexandria verantwortlich. Aya Tarek ist eine Malerin, Straßenkünstlerin und Illustratorin aus Alexandria. Ihr Portfolio konnte sie neben Ägypten bereits international, unter anderem in Deutschland, den USA und im Libanon, präsentieren. Simon Petermann lernte ich 2019 auf dem Jazzfest in Cairo als Leiter des Fishermanns Orchestra kennen. In der Schweiz ist er unter anderem als Musiker der modernen Jazzmusik bekannt. Der Berner Posaunist, Komponist, Improvisator, Bandleader und Produzent konzentriert seine Arbeit auf zeitgenössische Improvisationsformen und die klangliche Erweiterung der Posaune durch Live-Elektronik. Aus Klimadaten wie dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur oder dem Anstieg des Meeresspiegels generierte Aya Tarek über 350 Bilder, die über drei überdimensionale Bildschirme vorwärts und rückwärts liefen und den Zuschauer von den Pyramiden Ägyptens bis in die Schweiz mitnahmen. Die Intensität der Bilder entstand durch die stetig wechselnden Perspektiven und wurde durch die Komposition von Simon Petermann eindrucksvoll unterstrichen. In der Live-Performance zu den Bildern erklang nicht nur die Posaune, sondern auch besagte Live-Elektronik. Die Posaunenpattern wurden während der Präsentation aufgezeichnet und im Folgenden wieder mit in die Performance eingebunden. Vielschichtig, komplex und intensiv wie das gesamte Thema, beeindruckend umgesetzt. Das Projekt wurde in Ägypten und in der Schweiz realisiert. Auf die Frage, was denn nach dem einjährigen Projekt bliebe, antwortet Simon vor allem mit persönlichen Erfahrungen. Er nennt es das Abenteuer Ägypten, mit dem er neue Freunde gewonnen und eine neue Kultur durch die Zusammenarbeit kennengelernt hat. Herausforderungen, wie unterschiedliche Verhandlungsweisen, eher sachlich seinerseits und eher emotional seitens der ägyptischen Projektpartner:innen, machten das Projekt spannend. Vorbehalte seitens der Ägypter:innen, an dem Projekt zu arbeiten, bis alle Verträge unterschrieben sind, kenne ich aus meinen Projekten in Kairo auch. Hintergrund ist der, dass alle paar Jahre die Expats in Kairo wechseln und mit ihnen immer neue Projektideen ins Land getragen werden. Aus den verschiedensten Gründen lassen sich aber zahlreiche Ideen nicht verwirklichen. Und bevor die Enttäuschung wieder groß ist, vermeidet man eine eventuelle Enttäuschung durch vorsichtige Zurückhaltung. Umso spannender und lobenswerter, dass dieses interkulturelle Projekt realisiert werden konnte. Die Ausstellung fand vom 2. bis 10. November in der Factory (ehemals Townhouse) in Downtown Kairo statt und erreichte etwa 400 Menschen. Zudem konnte das Projekt auf der COP27 in Sharm El Sheikh präsentiert werden und fand großen Anklang. Damit das Ergebnis der einjährigen Erarbeitung und Umsetzung nicht verloren geht, gibt es Überlegungen, das Projekt auf einer Internetseite abzubilden. Zudem möchte Simon die Musik aufnehmen und veröffentlichen. Das Projekt steht aber für weitere Ausstellungen zur Verfügung und kann eventuell auf der COP28 in den Vereinigten Emiraten im Jahr 2023 fortgesetzt werden. Wenngleich beide Projekte keine Millionen an Klicks oder tausende von Besuchern erreicht haben - für alle Beteiligten bedeuten sie eine Lebenserfahrung, die den weiteren Lebensweg mit beeinflussen kann. Erinnerungen, die Kunst und die Musik bleiben und sind weiterhin abrufbar. Und Ägypten hat mit der COP27 und den damit verbundenen, verschiedenen Projekten gezeigt, dass es mehr zu bieten hat als Pyramiden. Auch, wenn nicht alles perfekt ist.

Der Begriff Henotheismus im Vergleich zum Monotheismus

Der Begriff Henotheismus im Vergleich zum Monotheismus

Die Statue des ägyptischen Pharaos Echnaton (1372 v. Chr. – 1336 v. Chr.) und ein Auszug aus seiner Sonnenhymne haben einen Platz im neuen Nationalmuseum der ägyptischen Zivilisation (NMEC - National Museum of Egyptian Civilization) in Kairo erhalten. Denn Echnaton gilt, gemeinsam mit Moses, in der Religionswissenschaft häufig als Begründer des Monotheismus. Gleichzeitig wird Echnatons Religion auch als Henotheismus bezeichnet. Die nachstehende Erläuterung zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Begriffe. Die monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, haben den Glauben an einen einzigen Gott gemeinsam. Monotheismus wird definiert als „Anerkennung und Verehrung nur eines einzigen Gottes […] Sie [Anm.: die Religionen des Monotheismus] betont die metaphysische Absolutheit Gottes und dessen Ewigkeit, Allmacht und Allwissenheit“¹. Der Glaube und auch die Existenz mehrerer Götter wird verneint und als Sünde angesehen. Im Vordergrund des Monotheismus steht die religiöse Erfahrung des Menschen mit Gott.² Die Verehrung eines gemeinsamen Gottes verbindet den Henotheismus und den Monotheismus. Im Gegensatz zum Monotheismus leugnet der Henotheismus die Existenz weiterer Götter jedoch nicht. Egon Friedell definiert in seiner Kulturgeschichte des Altertums den Henotheismus wie folgt: „Wir haben es hier [Anm.: mit dem Henotheismus] mit einem Monotheismus zu tun, der aber doch wieder keiner ist (denn der Glaube an die anderen Götter lebt weiter), mit einer Art polytheistischem Monotheismus.“³ Kulturgeschichtlich tritt der Henotheismus zu Zeiten Echnatons erstmalig auf. Anders als Friedell sieht Jan Assmann hinsichtlich der Begrifflichkeit eine Verbindung zwischen Moses und Echnaton: „Beiden wird dieselbe Tat zugeschrieben: die Einführung des Monotheismus. Moses verkündet die zehn Gebote, in denen Gott unter anderem fordert: ,Du sollst keine anderen Götter haben neben mir'. Echnaton pries seinen Gott Aton mit den Worten ,es gibt keinen außer dir’ [Anm.: in der Sonnenhymne] und verfolgte alle anderen Götter mit der Schließung ihrer Tempel, dem Verbot ihrer Kulte und der Zerstörung ihrer Namen und Bilder.“⁴ Assmann bezeichnet den neuen Glauben an nur einen Gott, sowohl von Echnaton als auch von Moses, als Gegenreligion zum Polytheismus.⁵ Den Unterschied zwischen Moses und Echnaton sieht Assman hingegen darin, dass für Echnaton geschichtliche und literarische Beweise existieren, die für Moses fehlen.⁶ Ein weiterer Unterschied zwischen Echnaton und Moses liegt laut Friedell darin, dass der Henotheismus Echnatons chaotisch und ohne Systematik war.⁷ Über Moses hingegen schreibt wiederum Assmann: „Moses wurde zum Symbol des normativen Charakters der jüdischen Religion.“⁸ Somit verbindet den Henotheismus und den Monotheismus die Verehrung eines einzigen Gottes, Henotheismus verleugnet jedoch die Existenz weiterer Götter nicht. Dass sich der Monotheismus gegenüber dem Henotheismus durchgesetzt hat, mag an dem wenig systematischen Glauben Ägyptens zu Zeiten Echnatons liegen und dass die Erinnerungen an Echnaton als Person nach seinem Ableben vernichtet wurden. Moses jedoch manifestierte Gesetze und Regeln, die bis heute für die monotheistischen Religionen Gültigkeit haben. ¹ Lanczkowski, G. und Hülsewiesche, R.: Monotheismus. ² Vgl. ebd. ³ Friedell, E.: Kulturgeschichte des Altertums, S. 389 f. ⁴ Assmann, J.: Moses und Echnaton: Religionsstifter im Zeichen der Wahrheit , S. 33. ⁵ Ebd. ⁶ Vgl. ebd., S. 34. ⁷ Vgl. Friedell, E.: Kulturgeschichte des Altertums, S. 390 f. ⁸ Assmann, J.: Moses und Echnaton: Religionsstifter im Zeichen der Wahrheit, S. 34. Literaturverzeichnis:
Assmann, Jan: Moses und Echnaton: Religionsstifter im Zeichen der Wahrheit. In: Bärbel Köhler (Hg.): Religion und Wahrheit, Religionsgeschichtliche Studien; Gernot Wießner zum 65. Geburtstag, Wiesbaden 1998, S. 33–44, S. 33–34. --- Friedell, Egon: Kulturgeschichte des Altertums, kommentierte, überarbeitete und digitalisierte Fassung, o.O. 2016, S. 388–391. --- Lanczkowski, Günter/Hülsewiesche, Reinhold: Monotheismus. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie online (DOI: 10.24894/HWPh.5282, letzter Abruf: 30.10.2022).

In Erinnerung an Roman Bunka

In Erinnerung an Roman Bunka

Den Kontakt zu Roman Bunka bekam ich über den Münchner Schlagzeuger Harald Rüschenbaum, als ich anfing, regelmäßig nach Kairo zu fliegen und mit einem Bein schon in Kairo und mit dem anderen Bein noch in München stand. Das erste Mal traf ich Roman bei einem Spanier (Restaurant) in Haidhausen in München, gemeinsam mit Janek Romero, dem Regisseur von "City of Sounds". Das war 2012. Wie in Romans ganzem Leben geht es auch in dem Film um Musik, unter anderem über Musiker in Kairo. Wir sprachen über einen eventuellen Metal Battle für Wacken und über die Musikszene in Kairo. Mohamed Mounir kannte ich dato nur vom Namen, Fathy Salama gar nicht, und überhaupt wusste ich von Kairo nur sehr wenig. Das sollte sich aber schnell ändern. Roman war bekannt als deutscher Oud-Spieler mit zahlreichen Bands seit den 70er Jahren, einer der Pioniere der sogenannten Weltmusik. In Ägypten kannte ihn jeder als Oud-Spieler von Mohamed Mounir. Er trat jedoch auch mit Fathy Salama und anderen Musikern in Kairo auf. So beispielsweise im Frühjahr 2015, Roman Bunka und Friends: Das Konzert ist mir deshalb so gut in Erinnerung geblieben, weil wir, meine damalige Mitbewohnerin und ich, morgens mit genau diesen Musikern gemeinsam beim Frühstück auf Zamalek waren. Mein erstes Treffen mit Roman in Kairo fand jedoch bereits im Frühjahr 2013 statt. Das war damals eine für mich sehr merkwürdige Zeit. Ich konnte mit Garden City, wo ich damals wohnte, nicht so viel anfangen, und alles war irgendwie im Umbruch, bevor ich dann im Herbst als Musiklehrerin an der Deutschen Schule Beverly Hills begann. Roman traf sich mit mir in Garden City, weil Mounir damals dort auch noch sein Apartment hatte. Wir saßen in einem unscheinbaren Cafe und Roman erzählte etwas wehmütig von Kairo aus den 80er Jahren. Von Shisha-Bars, in denen es mehr zu rauchen gab als Apfeltabak, und von einer freien Musik- und Kulturszene. Im Laufe der Zeit lernte ich auch Romans Musikerfreund Fathy Salama kennen, Ägyptens einziger Grammy-Preisträger. Mit Fathy organisierte ich 2016 unter anderem einen Workshop beim Regionalwettbewerb Jugend Musiziert an der DEO in Kairo. Die Finalisten des Regionalwettbewerbs hatten die Möglichkeit, mit Fathy einen gemeinsamen Song einzustudieren, unabhängig vom Alter oder den jeweiligen Instrumenten der Musikerïnnen. Und Fathy nahm als Basis für den Song eine Melodie von Roman Bunka. Die Aufführung im Preisträgerkonzert abends war eine der musikalisch besten Darbietungen, die jemals in der DEO aufgeführt wurden. So begegneten mir Roman oder seine Musik sporadisch hier und da, man kannte sich. Er war aber immer Bestandteil eines jeden Gesprächs, wenn es um Musik in Kairo ging, beispielsweise auf dem Jazzfest. Roman Bunka verstarb gestern, am 12. Juni 2022 mit 71 Jahren an Leberkrebs. Online ist überall zu lesen, dass es kein Wunder sei, dass Ahram Online als erstes Medium über Romans Tod berichtete, denn er sei so sehr mit Ägypten verbunden gewesen. Roman ist ein großer Verlust für die Musikszene, nicht nur in Ägypten. Mir wird sein Gespräch mit ihm in Garden City immer in dankbarer Erinnerung bleiben. R.I.P.

Alle Tage wieder

Alle Tage wieder

Menstruationstage, Tampons und Mythen - nicht nur in Ägypten - und ein Interview mit Nour Hamdouni von Shemsi Als sich weiblicher Besuch aus Deutschland ankündigt und wir die Packliste besprechen, gebe ich den Tipp, Tampons mitzunehmen, weil man die in Ägypten nicht bekäme. So ganz stimmt das zwar nicht. In Apotheken in Touristengegenden, in großen Mall-Supermärkten und vor allem online sind durchaus auch in Ägypten Tampons zu finden. Nur üblich wie in Deutschland ist es hier nicht. Auf die Frage meiner Freundin nach dem „warum“ bin ich zunächst ratlos und gebe das weiter, was „man so hört“ - wegen der Jungfräulichkeit. Dass das kein Grund dafür sein kann, dass Tampons im Allgemeinen nur selten in Ägypten verwendet werden, wird im Gespräch klar. Verheiratete Frauen und Mütter müssen schließlich darauf keine Rücksicht nehmen.
Ich mache mich auf die Suche nach Hintergründen, spreche mit verschiedenen Frauen im Alter zwischen 16 und über 70 verschiedener Nationalitäten. (1) Schnell wird deutlich, dass fast durchgehend alle westlichen Frauen ihre Tampons aus Deutschland oder Europa mitbringen. Bei den Gründen, die mir in Ägypten gegen Tampons genannt werden, wird schnell klar, dass es sich vor allem um Halbwissen handelt, das zu abenteuerlichen Antworten führt. Natürlich wird die Jungfräulichkeit für junge Frauen und Mädchen immer als erstes angeführt. Aber ich höre auch, dass man von Tampons Krebs im Unterleib bekäme, dass die Tampons sowieso nicht dicht seien und ägyptische Frauen diese gar nicht mehr wollen, weil sie es als unangenehm empfänden.
Erfunden wurde der Tampon Ende der 30er-Jahr im letzten Jahrhundert in den USA In Deutschland wurden die ersten Tampons im März 1950 verkauft, ist in unterschiedlichen Quellen zu lesen. Seit der Verwendung eines Tampons erhielten die Frauen vor allem mehr Bewegungsfreiheit bei der Arbeit und beim Sport. Dennoch halten sich verschiedene Gerüchte um den Tampon nicht nur in Ägypten hartnäckig. In einem Artikel vom Bayerischen Rundfunk aus dem Jahr 2018 werden einige Tampon-Mythen erklärt.
Öko-Test hat bereits im Jahr 2009 Tampons auf Schadstoffe untersucht und in etlichen Produkten unter anderem Dioxin festgestellt. In seinem letzten Bericht vom 21. April 2022 zum Thema Tampon gibt Öko-Test jedoch Entwarnung. Die meisten Hersteller hätten nachgebessert und die Tampons könnten mit „sehr gut“ bewertet werden. Der BR verweist zudem auf das BfR: "Es können Pestizidrückstände nicht ausgeschlossen werden. ... Das BfR ( ...) kam zu dem Ergebnis, dass die gemessenen Gehalte kein gesundheitliches Risiko darstellten." (Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR ) Inzwischen sind auch Bio-Tampons erhältlich, die frei von Pestiziden und weiteren Giftstoffen sind. Krebserregend sind Tampons also nicht, und die Produkte haben sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Öko-Test weist jedoch darauf hin, dass zum toxischen Schocksyndrom oft nicht ausreichend Aufklärung auf den Produkten vorhanden sei. Zum toxischen Schocksyndrom schreibt Öko-Test: „Das Bundesinstitut für Risikobewertung prüft regelmäßig, inwiefern Produkte gesundheitsschädlich sein könnten. Im Artikel des BR heißt es diesbezüglich:
Das toxische Schocksyndrom (TSS) ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Organ- und Kreislaufversagen, das durch bestimmte Keime hervorgerufen werden kann und das Mediziner mit der Verwendung von Tampons und Menstruationstassen in Zusammenhang bringen.“ Bleibt noch das große Geheimnis um die Jungfräulichkeit in Verbindung mit einem Tampon. Auf medizinischen Seiten, aber auch in zahlreichen Frauenzeitschriften, ist zu lesen, dass das sogenannte Jungfernhäutchen „Hymen“ heißt und es sich dabei nicht um eine dünne Haut im Inneren der Vagina handelt. Vielmehr ist das Hymen eine Korona, ein Kranz, aus einer Schleimhautfalte. Das Hymen ist elastisch, so dass es sich entsprechend ausdehnen und wieder zusammenziehen kann. Abgesehen davon, dass das Hymen bei der Verwendung eines Tampons in der Regel nicht verletzt wird, gibt es auch nicht zwingend Aufschluss darüber, ob eine Frau bereits Sex hatte oder nicht. Das Hymen ist so elastisch, dass es sich beim Sex ausdehnen kann. Wird es verletzt, kann es bluten. Blutet es beim Geschlechtsverkehr nicht, ist das aber im Umkehrschluss kein Hinweis darauf, dass die Frau keine sogenannte Jungfrau mehr ist, sondern dass beim Sex das Hymen nicht verletzt wurde.
Um das Hymen nicht länger in Verbindung mit Jungfräulichkeit zu bringen, haben die Schweden das Hymen kurzerhand umbenannt. So lesen Sie auf GoFeminin: „Und so hat die "Schwedische Vereinigung für aufgeklärte Sexualerziehung" (RFSU) den ideologiebeladenen Begriff des "Jungfernhäutchens", der eben das Wort "Jungfer" beinhaltet, durch den Begriff "vaginale Korona" ersetzt.“ Terres des Femmes gibt, ebenfalls auf GoFeminin, eine Erklärung dafür, warum es nicht alle Länder den Schweden gleichtun: „Der Mythos vom Jungfernhäutchen wird immer wieder dazu genutzt, Frauen in ihrer Lebensführung zu begrenzen und ihnen ihre sexuelle Selbstbestimmung zu verweigern. In streng traditionell patriarchal denkenden Familien wird die Ehre der Familie mit der Jungfräulichkeit ihrer Töchter in Zusammenhang gebracht. Dass die Jungfräulichkeit anhand des Jungfernhäutchens medizinisch fast nicht nachweisbar ist, wissen wenige.“ Junge Männer, vor allem völlig unerfahrene Männer, können beim Sex auch nicht spüren, ob die Frau noch Jungfrau ist, oder nicht. Ein Jungfernhäutchen, das es zu „durchstechen“ gäbe in der Hochzeitsnacht, existiert in der Form nicht.
Somit sprechen für die Verwendung von Tampons wesentlich mehr Gründe, als die Mythen dagegen.

Spreche ich Frauen in Ägypten auf Monatshygiene und Tampons an, dann sind selbst Frauen über 50 etwas verschämt bei den Antworten und kichern unsicher. Mit deutschen Frauen ist das Gespräch wesentlich einfacher, und auch in den Medien wird offen damit umgegangen. Weil Google ja immer genau weiß, wonach ich gerade recherchiere, stoße ich auf zwei Artikel der Zeitung WELT. Am 9. Mai berichten sie darüber, dass die Universität Bonn kostenlose Tampons anbieten wolle, um die Frauen finanziell zu entlasten und den Gang zur Universität auch während der Menstruationstage zu erleichtern. Am 12. Mai schreiben sie über Spanien, das einen dreitägigen Menstruationsurlaub einführen möchte.
Da ist es im Vergleich dazu sehr befremdlich für mich zu hören, dass sich in Ägypten nicht alle Frauen Monatshygiene leisten können Eine Damenbinde kostet etwa 2 Pfund pro Stück, 10 Tampons online gut 100,— ägyptische Pfund. Auf meine Frage, was die Frauen dann täten, ist häufig Schulterzucken die Antwort. Es gibt Wäsche mit Fächern, die mit Watte gefüllt werden können. Häufig aber wird auch gar nichts verwendet, und die Frauen sind für einige Tage in ihren Aktivitäten extrem eingeschränkt.
Wer sich zum Thema Monatshygiene in Ägypten und im Mittleren Osten besonders gut auskennt, ist Nour Hamdouni von der Firma Shemsi. Shemsi stellt sogenannte Periodenunterwäsche her, die während der Monatsblutung ohne weitere Einlagen getragen werden kann. Ich freue mich sehr, dass Nour sich bereit erklärte, meine Fragen zu beantworten. Hier ist das Interview mit Nour Hamdouni: Wie war das in Ägypten, bevor es die heutigen Hygienestandards gab, zu denen neben Tampons und Binden auch sogenannte Menstruationstassen gehören?
Nour : Bereits die pharaonischen Zivilisationen kannten mit als erste in der Welt Hygieneartikel für Frauen. Die Königinnen verwendeten bereits Tampons und Pads, allerdings zunächst aus Papyrus, das im Laufe der Zeit von Baumwolle abgelöst wurde.
Warum tragen auch verheiratete Frauen in Ägypten keine Tampons, vor allem bei der Arbeit und beim Sport?
Nour : In Ägypten gibt es verschiedene Barrieren für Frauen, um Tampons zu tragen: Tampons schützen nicht zu 100 % und passen von der Form her nicht optimal, so dass sie immer noch auslaufen können Hinsichtlich des Hymens sollten junge Frauen keinerlei Dinge vor ihrer Hochzeit in ihre Vagina einführen. Es könnte ein Zeichen dafür sein, dass das Mädchen keine Jungfrau mehr sei Ein hygienischer Aspekt: Tampons enthalten Chemikalien genauso wie Pads, und im Inneren des Körpers könne es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen Es ist nicht komfortabel, einem Fremdkörper im Körper zu tragen, Frauen fühlen sich dabei unwohl Dennoch gibt es Frauen in Ägypten, die regelmäßig Tampons tragen. (Anmerkung: Nach meinen Recherchen muss ich etwas über ihre Antworten schmunzeln)
Was sind die Alternativen zu Tampons für ägyptische Frauen?
Nour : 90 % aller Frauen nutzen Damenbinden, einige wenige auch Menstruationstassen, und nun gibt es auch in Ägypten die Möglichkeit, Periodenunterwäsche zu tragen.
Wie kam es zu der Idee von Shemsi, Periodenunterwäsche für Ägypten herzustellen?
Nour : Die Idee wurde vor gut einem Jahr in Marokko, Casablanca geboren. Der Leidensdruck vieler Frauen war so groß, dass wir etwas Neues, Wirtschaftliches und Ökologisches schaffen wollten, ein revolutionäres Produkt für den Alltag von Frauen. Das Material ist ägyptische Baumwolle, und gemeinsam mit unseren besten Kunden dauerte die Entwicklung ein Jahr, um das beste Produkt und die beste Verpackung herzustellen.
Wie wird die Periodenunterwäsche von den Frauen angenommen?
Nour : Der Erfolg ist sehr groß, wir sind bereits ausverkauft (Anmerkung: Seit Februar 2022) und die ägyptischen Frauen haben das Produkt gut angenommen. Shemsi ist ein 100%ig arabisches Produkt mit Produktionsort in Ägypten. Der Produktionsstandort Ägypten ist sehr wichtig, ebenso wie die Produktqualität, die wir den Kunden anbieten.
Die Periodenunterwäsche wird im Mittleren Osten inklusive Marokko verkauft. Allerdings kann es sein, dass es zukünftig Konkurrenz von ausländischen Marken gibt.
Ist die Periodenunterwäsche wirklich eine praktikable Lösung? Ich stell mir das sehr unkomfortabel vor, zumal die Wäsche bis zu 12 Stunden getragen werden kann?
Nour : Die Frauen haben das Produkt sehr schnell angenommen, und die Mund-zu- Mund-Propaganda hat sehr gut funktioniert. Feedback findet sich in den Sozialen Medien. Die Produktlinie wird stetig weiter entwickelt und das Sortiment erweitert. Es ist das Gegenteil von unkomfortabel, was soll man Angenehmeres tragen? Die Panties bestehen aus Bambus, Baumwolle und einer wasserdichten Schicht. Es gibt keine Chemikalien und somit auch keine gesundheitlichen Risiken. Zudem ist es einfach zu verwenden und kann wie eine Unterhose angezogen werden und ist zudem von außen nicht zu erkennen. Es ist praktisch für die Arbeit, für Sport, beim Shopping und für nachts.
Produziert Ihr ausschließlich Euer Sortiment, oder kümmert Ihr Euch auch um sexuelle Aufklärung?
Nour : Nein, wir klären auch auf und informieren die Frauen. Das ist ein große Tabu-Thema in arabischen Ländern. Die Informationen erfolgen vor allem über die Sozialen Medien. Unter gesellschaftlichen Aspekten versuchen wir, eine Community rund um das Thema Monatsblutung zu erschaffen, um Verständnis und Aufklärung zu verbreiten. In der arabischen Welt sollen Tabus rund um die Menstruation abgeschafft werden, ebenso wie die sogenannte „Period Poverty“, also fehlendes Geld für Hygieneartikel oder die fehlenden Hygieneartikel selbst. Der Markenname „Shemsi“ (übersetzt: Sonne, Licht) steht dafür, das Leben der Frauen zu erhellen. Wir sind sehr neugierig, was passieren wird, wenn wir Frauen zum Mittelpunkt von Gesprächen, von Absatzmärkten und öffentlichen Räumen machen.
Derzeit suchen wir NGOs, die Periodenunterwäsche spenden möchten. In Marokko haben wir das bereits zwei Mal gemacht und wir wollen im 21. Jahrhundert endlich die „Period Poverty“ beenden.
In Deutschland sprechen wir seit den 70er-Jahren offen auch in den Medien über Themen wie Menstruation und sexuelle Aufklärung. Wie ist die derzeitige Situation, und wird zukünftig offener über das Thema gesprochen werden können?
Nour : Als erstes ist zu erwähnen, dass eine Angst in der Gesellschaft besteht, dass jemand merken könnte, wenn die Frau ihre Monatsblutung hat. Die Frauen wünschen sich 100 % Diskretion in arabischen Ländern über ihre Periode, wesentlich mehr als in westlichen Ländern. Wir haben das Gefühl, dass die Frauen während ihrer Periode alles unterdrücken müssen - ihr Blut, ihre Schmerzen und ihre Kleidung - und so diskret wie möglich mit allem umgehen müssen. Hintergrund sind Tabus und Stigmata in Verbindung mit der Monatsblutung, die über Jahre gewachsen sind. Meiner Meinung nach würde in arabischen Ländern niemand öffentlich darüber sprechen, aber einen Informationsfluss gibt es dennoch.
Es gibt inzwischen sogar Männer, welche die Periodenunterwäsche für ihre Freundin oder Ehefrau gekauft haben. So vermute ich, dass es im Wesentlichen die Gesellschaft ist, die das Thema niemals öffentlich ansprechen würde. Im Verborgenen sind Fakten jedoch bekannt. Das Gute ist, dass es inzwischen in Ägypten und arabischen Ländern Seiten auf Sozialen Medien auf Arabisch gibt, die mit Fakten aufklären, Tabus brechen und nach und nach auch das Schweigen brechen. Wir sind mit ihnen bereits in Kontakt. Selbst einige Männer ermutigen zu einer offeneren Diskussion und ich denke, in 5 Jahren wird das Thema letztendlich gesellschaftsfähig sein. Es ist nichts Unreines und keine Krankheit, lediglich eine natürliche Sache, die allerdings ausschließlich Frauen passiert.
Das Interview mit Nour hat mich sehr berührt und zeigt einmal mehr, dass wir aus westlicher Sicht Kairo oft nur als Kulisse erleben Wir wissen häufig nur wenig aus dem Alltag der Menschen um uns herum, und wenn man nicht wie ich das Glück hat, darüber recherchieren und schreiben zu dürfen, bleibt uns der Zugang dazu häufig verwehrt. Der Vergleich der Situation zwischen Deutschland und Ägypten hat gezeigt, dass die Mythen zum Thema Tampons in beiden Ländern ähnlich sind. Dass es gesellschaftliche Tabus geben könnte, war erwartungsgemäß. Über die „Period Poverty“ allerdings wusste ich nichts. Ägypten ist damit nicht alleine. 500 Millionen Frauen sind weltweit davon betroffen, berichtet „Medical News Today“, viele davon in Afrika. Eine Umfrage von UNICEF in Kenia habe ergeben, dass Frauen mangels Hygieneartikeln Federn, Zeitungen, alte Teppiche oder Lehm verwenden. Im Juli 2021 schreibt Ahram Online darüber, dass selbst ein Land wie der Libanon seit der Finanzkrise mit „Period Poverty“ zu kämpfen habe, die Preise für Damenbinden seien um 500 % gestiegen. „Period Poverty“ bedeutet konkret, dass die Frauen am öffentlichen Leben nicht teilnehmen können und ihnen zudem der Zugang zur Schule, Universität und zur Arbeit an diesen Tagen verwehrt bleibt.
Da bleibt nur zu hoffen, dass uns dieses und Ähnliches angesichts der derzeit politischen Entwicklung in Europa erspart bleiben wird.
(1) Die Namen werden aus Rücksicht auf die Frauen an dieser Stelle nicht genannt. [Schriftliches Interview 12. Mai 2022, aus dem Englischen übersetzt von Monika Bremer]

Die Einsamkeit eines Königs

Die Einsamkeit eines Königs

Letztes Jahr im Oktober hatte ich im Rahmen des DCAFs (Downtown Contemporary Art Festivals) in Kairo die Gelegenheit, eine Probe von „Memories of a Lord“ zu besuchen und den französischen Tänzer und Choreographen Olivier Dubois zu sprechen. Olivier Dubois wurde 2011 vom "Dance Europe Magazin" unter die 25 weltbesten Tänzer gewählt. Mit modernem Tanz und radikalen Choreographien machte er sich einen Namen nicht nur in Frankreich.
Ich bereitete mich gewissenhaft auf das Interview vor Vor Ort musste ich dann feststellen, dass ich sowohl von Olivier Dubois als auch von dem Stück, basierend auf der Beschreibung des DCAF, völlig andere Vorstellungen hatte und meine Interviewfragen ziemlich schnell hinfällig wurden. Unter einem französischen Balletttänzer stellte ich mir eine imposante, hochgewachsene, dunkelhaarige etwas majestätische Persönlichkeit vor. Mädchenträume. Stattdessen traf ich mit Olivier einen etwas untersetzten aber vor Kraft und Energie strotzenden Mann mit viel Humor und einer ganz klaren Vorstellung von dem, was er tut und warum. Obwohl wir während des Gesprächs viel lachten, kamen wir auf interessante Themen zu sprechen. Das Stück „Memories of a Lord“ hat Olivier im Jahr 2015 entwickelt und wurde von einem Solisten und in Kairo mit 35 männlichen Amateurtänzern realisiert. Olivier wohnt nicht nur regelmäßig in Paris und Rom, sondern seit 15 Jahren auch auf Zamalek in Kairo. Für das Casting hatten sich über 100 Tänzer gemeldet, von denen Olivier 35 auswählte, der jüngste war 19. Die Arbeit mit Amateuren war Olivier wichtig, weil die Tänzer alle eine Chance darin sähen und positive Energie und Willenskraft mitbrächten, die sich auch auf der Bühne ausdrückten. Die Probe begann mit Ausdauer- und Krafttraining, und erst während der Aufführung wurde klar, warum. „Memories of a Lord“ sei kein schönes, sondern ein finsteres Stück, betonte Olivier. Es ginge um einen Tyrannen, um Terror, um Barbarei und deren Bekämpfung. Und um die Einsamkeit eines Königs. In drei Akten. Mir fiel auf, dass nur Männer in dem Stück mitwirkten und alle mit freiem Oberkörper. Einige Szenen verlangten sehr viel körperliche Nähe und ich sprach Olivier darauf an. Er musste lachen. Ja, die Angst sei groß gewesen, dass man sich hätte ganz ausziehen müssen. Ich schaute ihn verwundert an und stellte fest, dass ich bei meinen Recherchen auf Oliviers Blockbuster, wie er seine „Tragédie" gerne nennt, in Ägypten ohne VPN gar nicht gestoßen war. Das Stück "Tragédie" wird von 18 nackten Tänzern umgesetzt und erscheint auf YouTube nur, wenn man dem Computer mit einem VPN vorgaukelt, man sei beispielsweise in Deutschland. Ich hatte zwar „Revolution“ aus dem Jahr 2009 gefunden und war von der Intensität beeindruckt, von „Tragédie“ erfuhr ich erst im Falaki-Theater bei den Proben. Ich fragte Olivier, was wir denn von „Memories of a Lord“ erwarten dürfen und an wen sich sein Stück denn richte. Olivier war fast entsetzt über meine Frage und schon waren wir bei dem Thema, das mich seit Oktober beschäftigt. „Für wen hat denn Picasso gemalt?“ fragte Olivier mich etwas entrüstet und betonte dann sehr deutlich, er mache Kunst. Auf die Frage, wie er denn Unterhaltung von Kunst unterscheide war die Antwort: „Gute Unterhaltung weckt Emotionen, Kunst wirft Fragen auf". Auch in einer eher starren Gesellschaft wie der in Ägypten sei die Erreichbarkeit von Kunst durchaus gegeben. Olivier erzählte beispielsweise von einem Flashmob vor einigen Jahren in Alexandria, bei dem sie über 1.000 Menschen erreicht hätten. Und "Memories of a Lord" wurde in einer Sondervorstellung extra für Family & Friends der beteiligten Tänzer gezeigt.
Dass das aber mit der Kunst und dem daraus resultierenden Fragen stellen in Ägypten doch nicht unbedingt weit verbreitet ist, zeigen unter anderem die Zahlen des DCAFs aus 2021. Das DCAF ist stolz auf insgesamt 3.800 Besucher aus allen Veranstaltungen in knapp einem Monat. Von etwa 20 Millionen Einwohnern in Kairo. Zwar habe ich selbst keinen Fernsehanschluss, hatte aber unlängst in den sozialen Medien gelesen, dass im ägyptischen Fernsehen vor allem Filme und Sendungen gezeigt würden, welche die gewünschte Moral und das Leben als Familie in Ägypten abbilden. Wie viel Widerstand es gibt, wenn es anders kommt, wurde Ende Januar deutlich. Karim El Gohary griff in einem TAZ- Artikel einen sogenannten Skandal auf, der durch die arabische Neuverfilmung von „Perfect Strangers“ entstand. In einer Szene zieht eine Frau ihren Slip aus und verlässt ohne das Wäschestück das Haus. Zum Entsetzen konservativer Ägypter, die daraufhin sogar den Verbot von Netflix in Ägypten forderten.
Und dennoch, wenn man genau hinsieht, findet sich gerade in Kairo eine Kunst- und Musikszene, die sich nicht nur als Entertainment versteht und Aspekte der Gesellschaft und des Lebens in Kairo kritisch betrachtet und hinterfragt.
Warum aber ist das Fragen stellen und das Hinterfragen so wichtig? Antworten darauf gibt unter anderem die Dokumentation „Die Lotterie des Lebens“ von Raoul Martinez und Joshua van Praag. Sie beschäftigt sich mit dem Thema, wie man Freiheit leben kann, die letztendlich zu einer gerechteren Gesellschaft führt. Die Dokumentation geht von zwei Thesen aus. 1. Der Mensch kann nicht entscheiden, ob er geboren werden will oder nicht. 2. Der Mensch kann den Ort seiner Geburt und das Umfeld, in das er hineingeboren wird, nicht bestimmen. Beide Voraussetzungen führen dazu, dass kein Mensch in Freiheit geboren wird. Sondern vielmehr in ein Umfeld, das ihn mit Werten, Wissen und Ideologien ausstattet. Auch in der Bildung würde nur sehr selten der Mensch dazu befähigt, immer sein Bestes zu geben, sondern vielmehr dazu erzogen, ein funktionierender Teil einer bestimmten Gesellschaft zu sein. Dem Thema „Hinterfragen“ wird ein eigenes Kapitel gewidmet und George Orwell eingangs zitiert: „Das zu sehen, was direkt vor einem ist, ist ein ständiger Kampf“. Der Sprecher fährt fort: „Die oberflächliche Realität einer Gesellschaft kann trügerisch sein. Die Vertrautheit kann dazu führen, dass wir die repressiven Strukturen unserer Welt nicht sehen“. Gezeigt werden dabei Bilder von Banken, Werbung und Medien. „Je mehr uns diese Strukturen beeinflussen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir ihre Werte und Erwartungen verinnerlichen. Unser Wissen und unsere Werte entstehen aus den Interaktionen zwischen dem kognitiven Design unseres Gehirns und unseren Erfahrungen. Da es keinen politisch neutralen Weg gibt, um Leute zu sozialisieren, tendieren die Versionen der Realität, die uns vorgesetzt werden dazu, die Ziele von denen zu verfolgen, die kontrollieren, was uns vorgesetzt wird<..> Denken zu beeinflussen bedeutet, die Gesellschaft zu formen.“ Ohne Fragen ist Fortschritt unmöglich George Monbiot, Journalist, Autor und Umweltschützer, erläutert, dass sich viele Menschen ihrer Ideologien und Werte gar nicht bewusst seien, weil sie diese als selbstverständlich und gegeben annehmen. Ohne jedoch sich selbst und seine eigenen Ideologien zu hinterfragen, sei auch das Überprüfen einer Gesellschaft nicht möglich. „Alles beginnt damit, dass man sich selbst hinterfragt“ schließt er ab. Philosoph Daniell Dennett gibt ganz offen zu, dass es beängstigend sei, seine eigenen Werte und Ideologien in Frage zu stellen und man unter Umständen herausfinden könne, dass man mit einer Lüge gelebt habe oder ausgetrickst wurde. Es sei natürlich einfacher, an dem festzuhalten, was uns bekannt und für uns sicher ist.
Es wird im weiteren Verlauf der Dokumentation verdeutlicht, dass wir vor allem dann keine Fragen stellen, wenn wir glauben, dass wir die Antworten schon kennen. Aber Tony Benn, ehemaliger britischer Parlamentarier und Autor sagt nochmal ganz klar: „Ohne Fragen ist Fortschritt unmöglich“. Bevor sich die Dokumentation der Kreativität in diesem Zusammenhang widmet, heißt es abschließend zu dem Thema: „Die Gesellschaft gibt uns die Wege vor, die wir gehen sollen. Veränderung ist nur möglich, wenn diese Wege in Frage gestellt und Alternativen geschaffen werden“. Nicht ohne Grund ist der Kreativität der abschließende Teil der Dokumentation gewidmet. "Menschen wählen von dem aus, was sie sehen können und was zur Verfügung steht. Weil man daran gewöhnt ist, vergisst man, dass man das komplette System (bezogen wird sich hier auf den Kapitalismus) verändern könne", heißt es unter anderem. Kunst, wie sie beispielsweise von Olivier Dubois verstanden wird, kann also, wenn sie Fragen aufwirft, dazu beitragen, dass die Menschen über ihren gewohnten Tellerrand hinaus schauen. Das muss nicht unmittelbar zu großen gesellschaftlichen Veränderungen führen. Ein Anfang ist schon gemacht, wenn das Hinterfragen der eigenen Identität und der eigenen Werte zu mehr Toleranz und einem besseren Miteinander führt. Die Einsamkeit eines Königs drückt somit nicht immer zwingend den großen Kampf gegen Terror oder einer Bedrohung von außen aus. Manchmal ist es auch der Kampf mit sich selbst, Gewohntes nicht einfach hinzunehmen, sondern unter anderem seine Werte, sein Wissen und seine Ideologien in Frage zu stellen und nach Alternativen zu suchen. Foto, Video: Ausschnitt aus "Memories of a Lord" Okt. 2021, Falaki Theater Kairo

Forever Is Now - erstmalig bieten die Pyramiden eine Kulisse für moderne Kunst dieser Art

Forever Is Now - erstmalig bieten die Pyramiden eine Kulisse für moderne Kunst dieser Art

Seit ihrer Erbauung vor 4.500 Jahren bieten die Pyramiden in Giza erstmalig die Kulisse für moderne Kunst dieser Art und laden zum Dialog ein
Am Donnerstag, den 21. Oktober 2021, eröffnete Art D’Egypt die Ausstellung „Forever Is Now“ auf dem Plateau der Giza-Pyramiden vor den Toren Kairos.
Aus der Innenstadt von Kairo, Downtown vom Tahrir-Platz, sind es nur gut 30 Minuten mit dem Auto über die zum Teil neu ausgebaute Ring-Road bis nach Giza. Rund um die historischen Stätten wurde nicht nur das „Grand Egyptian Museum“ neu errichtet, sondern auch die Zufahrtswege. Noch schlängelt man sich an Baustellen vorbei an dem neuen Museum, das zwar imposant vor den Pyramiden ruht, aber in seinem Vorgarten immer noch Baufahrzeuge beherbergt und auf seine Eröffnung wartet. Noch sind auch einige U-Turns notwendig, um letztendlich am alteingesessenen Hotel Mena-Haus vorbei zum Eingang der Pyramiden zu gelangen. Um „Forever Is Now“ zu erreichen, fährt man auf dem Pyramidengelände an allen drei Pyramiden vorbei hinauf auf das Giza-Plateau. Während sich in Richtung Osten eine gewaltige historische Kulisse mit Blick auf alle Pyramiden auftut, rückt die Stadt vor allem im Westen erschreckend nah an das Plateau heran. Von der bisherigen Weite über das Land ist nur wenig geblieben.
Diesen Ort hat sich Art D’Egypt ausgesucht, um unter der Schirmherrschaft des Ägyptischen Ministeriums für Antiquitäten und Tourismus, des Ägyptischen Außenministeriums sowie der UNESCO erstmalig seit Erbauung der Pyramiden vor 4.500 Jahren eine internationale Ausstellung für moderne Kunst verschiedener Künstler zu realisieren. Es ist die vierte Ausstellung der in 2016 von Nadine Abdel Ghaffaris ins Leben gerufene Art D’Egypt. Nadine Abdel Ghaffaris betonte bei der Eröffnung, dass die Pyramiden seit je her eine Inspiration für Künstler aus aller Welt waren und sie sehr dankbar sei, dass Art D’Egypt die einmalige Gelegenheit erhalten habe, eine Ausstellung vor dieser gewaltigen Kulisse zu realisieren. Ihr Team besteht aus sieben jungen ägyptischen Frauen. Art D’Egypt ist auch die Organisatorin der bis zum 27. Oktober 2021 laufenden Ausstellung CIAD, moderne Kunst in Downtown Kairo. Kurator Simon Watson aus New York wurde vor 18 Monaten von Nadine Abdel Ghaffaris angesprochen und eingeladen, das einmalige Kunstprojekt mit zu realisieren. Er gratulierte nicht nur Art D’Egypt zur der nicht immer ganz einfachen Umsetzung, sondern bedankte sich auch für die großartige und einmalige Gelegenheit, bei diesem Projekt dabei sein zu dürfen. Er war beeindruckt von der Vielzahl der Gäste zur Eröffnung und sieht die Ausstellung als Dialog zwischen der Vergangenheit und dem Heute.
Die Ausstellung umfasst zehn Objekte von internationalen Künstlern (siehe Diashow): Alexander Ponomarev (Russland) | Ouroboros Gisela Colón (USA) | Eternity Now João Trevisan (Brasilien) | Body that Rises JR (Frankreich) | Greetings from Giza Lorenzo Quinn (Italien) | Together Moataz Nasr (Ägypten) | Barzakh Sherin Guirguis (Ägypten/USA) | Here Have I Returned Shuster + Moseley (England) | (Plan of the Path of Light) In the House of Hidden Places Stephen Cox RA (England) | Interior Space: Khafre HRH Prince Sultan Bin Fahad (Saudi Arabien) | RIII Im Gespräch mit einigen vor Ort anwenden Künstlern wird schnell deutlich, dass die Pyramiden nicht als Kulisse dienen, sondern jeweils im Dialog mit allen Kunstwerken stehen. Immer wieder wird auf die Menschen verwiesen, die vor 'zig tausend Jahren die Pyramiden errichtet haben. „Forever Is Now“ sei eine Möglichkeit, die Zeit für eine Weile anzuhalten. Stephen Cox RA kennt Ägypten schon seit vielen Jahren. Seine Skulptur besteht aus Granit, und er ließ sich von den Gräbern der Apis-Bullen aus Saqqara inspirieren. Lachen musste er, als er erzählte, dass das Toilettenhäuschen in der Nähe seiner Skulptur aufgebaut wurde und seinem Kunstwerk zumindest von der Form her ähnelt. Lorenzo Quinn ist zur Ausstellung das erste Mal in Ägypten. Er habe sein Kunstwerk mit viel Respekt für die Pyramiden und ihre Erbauer geschaffen. Heute, nach zwei schweren Jahren mit der Corona-Pandemie, träfen sich an diesem Ort die Menschen erneut, initiiert durch die Kunst und dadurch in einer sehr respektvollen Weise. Normalerweise verwende er für seine Kunstwerke Bronze, für die sich berührenden Hände, eine weiblich, eine männlich, habe er jedoch Drahtgeflecht benutzt. Die Produktion hat neun Monate gedauert und ein Team von 25 Leuten verknüpfte über 36.000 Verbindungspunkte zu dieser Skulptur. Die Skulptur sei, wie alle anderen Kunstwerke auch, bis zum 7. November (update 6.11.2021: verlängert bis 17.11.2021) in der Ausstellung zu sehen, danach verbliebe sie in unserer Erinnerung. Vielleicht aber findet sie nach der Ausstellung irgendwo einen neuen Platz. Um die Ausstellung zu sehen, muss man sich auf einen gut 5 km langen, quasi schattenlosen Weg machen. Ausgebaute Straßen auf dem Plateau ermöglichen eine Rundfahrt mit dem Auto, bei der man auch ohne auszusteigen an den Skulpturen entlang fahren kann. Alternativ wählt man die Fahrt mit einer Kutsche oder einen Ritt auf einem der prächtig geschmückten Kamele. Der Weg führt über das gesamte Plateau, lässt die 9- Pyramids-Lounge rechter Hand liegen, und während man bereits auf dem Rückweg vorbei an der Sphinx zum Ausgang ist, begegnet man noch der Skulptur von JR und der leuchtenden Sonne von Gisela Colón.
Ein Aussteigen pro Exponat aber lohnt sich. Trittplatten führen die Besucher jeweils auf eine Holzplattform, die eine ideale Position für den Dialog zwischen den Pyramiden und dem Kunstwerk ermöglicht. Weitere Informationen gibt es pro Kunstwerk ganz modern per QR-Code über eine Informationstafel. Noch bis zum 17. November 2021 ist die Ausstellung „Forever Is Now“ an den Pyramiden zu sehen. Der Eintritt zu den Pyramiden kostet für Nicht-ÄgypterInnen 160 EGP, knapp 9 Euro. Die Ausstellung selbst ist dann frei. Fotos: (c) Kathrin Schwarz | Diashow: (c) mo4network update: 06.11.2021

Medien und Wissenschaft in turbulenten Zeiten

Medien und Wissenschaft in turbulenten Zeiten

Veranstaltung im Goethe-Institut Kairo am 18. und 19. September 2021 Ich halte ein gerade eine Anleitung in der Hand mit dem Titel „Handbuch für Wissenschaftsjournalismus“, das ich am letzten Wochenende auf einer Veranstaltung beim Goethe-Institut in Kairo erhielt. In diesem Manual findet sich Grundlagen für journalistisches Arbeiten. Welche Art von Artikeln es gibt, wie recherchiert und zitiert wird und ähnliches. Grundlagen, die ich zumindest in meiner Journalistenausbildung gelernt habe, was aber nicht selbstverständlich ist, wie ich am letzten Wochenende erfahren konnte. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Media and Science in Turbulent Times“ - Medien und Wissenschaften in turbulenten Zeiten. Es war eine hybride Veranstaltung, also zum Teil online und zum Teil vor Ort im Goethe-Institut in Kairo. Ich hatte das Glück, an beiden Tagen je eine beziehungsweise zwei Veranstaltungen vor Ort besuchen zu können und so ein bisschen Normalität mit echten Menschen im Berufsleben zu erfahren. Die Momente, die ich aus den Veranstaltungen für mich mitgenommen habe, sind Inhalt der heutigen Kolumne. Am 18. September ging es für mich los mit dem Thema „Journalism, Media and Misinformation during the Covid-19 Pandemic“ - Journalismus, Medien und Misinformationen während der Corona-Pandemie Moderiert wurde diese Veranstaltung von Dr. Hanan Badr von der Freien Universität in Berlin. Als Referenten waren Prof. Dr. Ingrid Volkmer von der Universität Melbourne (Australien), Mona Yassin von der WHO (Ägypten), Dr. Nouha Belaid, Journalistin aus Tunesien und Zeinab Ghosn vom Roten Kreuz (Ägypten und Libanon) eingeladen. Die Veranstaltung lief so ab, dass jeder Referent seine Präsentation zu dem Thema vorstellte und anschließend sowohl online als auch schriftlich aus dem Saal Fragen an die Referenten gestellt werden konnten. Dr. Volkmer war online vertreten, die anderen Referenten auf dem Podium vor Ort in Kairo. Auf das Thema war ich sehr gespannt. Die Corona-Pandemie hat zwangsläufig auch den Journalismus verändert Nicht nur, dass häufig im Home-Office gearbeitet wurde, auch inhaltlich. Medizinische Themen sind eigentlich Themen, die vom Wissenschafts-Journalismus bislang bedient wurden. Mit Beginn der Corona-Pandemie musste sich jeder Journalist, sowohl Lokalredakteure als auch politische Korrespondenten als auch Verbraucherjournalisten und Kolumnisten mit dem Thema auseinandersetzen. Es wurde von einem Tag auf den anderen eine Fachkompetenz von allen Journalisten gefordert, die aber auf die Schnelle nicht machbar war. Umso wichtiger wurden die Quellen, auf die man sich bei der Recherche stützen konnte. Dennoch entstanden rund um das Thema Corona zahlreiche Misinformationen und zudem entstand Misstrauen gegenüber den Medien. Prof. Dr. Volkmer präsentierte Ergebnisse aus einer weltweiten Studie mit 24 beteiligten Ländern, die gemeinsam mit der WHO durchgeführt wurde. Dank Internet, Sozialer Medien, klassischer Medien und Content-Anbietern wie Bloggern leben wir in einer Zeit, in der uns Informationen aus zahlreichen Quellen zur Verfügung stehen. Informationen werden aber nur von vertrauenswürdigen Quellen akzeptiert. Interessant war zu hören, dass religiöse Führer, Informationen aus sozialen Medien, Informationen über Messenger-Diensten und - je nach Region - auch Informationen der Regierung als nicht vertrauenswürdig empfunden werden. Sehr wohl hingegen aber Informationen direkt von der WHO, Informationen aus Zeitungen und von wissenschaftlichen Seiten und Magazinen, wenn es um das Thema Corona geht. Misstrauen und Skepsis sind dennoch weiterhin weit verbreitet. Zum Thema Corona werden Informationen gelesen, wenn folgende Fragen mit ja beantwortet werden können ist es ein wissenschaftlich? betrifft es mich? ist es wichtig? ist es ein Artikel? sind Videos oder Bilder enthalten? gibt es eine Geschichte / Story dazu?
Wenn festgestellt wird, dass sich eine Information als sogenannte Fake-News entpuppt, dann liegen die Reaktionen zwischen besorgt und interessiert. Irgendwie scheinen Fake-News ja doch interessant zu sein. Ich erinnere mich gerade, dass im Laufe der Konferenz ein Zitat genannt wurde: „Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.“ - Mark Twain (1835 - 1910). Die Aussage ist klar - wenn man Aufmerksamkeit möchte, ist man damit mit einer Lüge schneller im Rampenlicht, als mit der Wahrheit, die unter Umständen auch erst sorgsam erforscht und recherchiert werden muss. Die Aktionen, die auf die Reaktion bei Fake-News folgen, teilen sich in den Sozialen Medien auf in ich melde die Fake-News als solche ich ignoriere sie ich kommentiere sie ich folge der Informationsquelle nicht länger Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch die Corona-Pandemie eine neue Herausforderung für den Journalismus entstanden ist und eventuell die Rolle des Wissenschafts-Journalismus neu überdacht werden muss.
Mona Yassin von der WHO bestätigte, dass es zum Thema Corona eine exzessive Informationsflut gibt, selbst, wenn es sich bei allen Informationen um korrekte Informationen handeln würde Die ersten Informationen welche die WHO zur Corona-Pandemie herausgegeben hatte, waren Verhaltensregeln, die vor allem in Twitter, Instagram und Facebook verbreitet wurden neben den traditionellen Medien. Interessant war, dass Twitter als wichtiger erachtet wurde im Informationsranking als Facebook, obwohl Facebook wesentlich größer ist. Fake News aus Sicht der WHO entstanden vor allem zum Thema Symptome und rund um das Thema Impfung. Vor allem liegt das Risiko darin, dass Informationen nicht richtig verstanden werden und dann falsch verstanden in den Sozialen Medien weitergetragen werden. Mona Yassin hat hier drei Risikoebenen angeführt, wie gefährlich Misinformationen auch für die interne Sicherheit werden können. Wird beispielsweise herumerzählt, Corona wäre nicht schlimmer als eine Grippe, dann ist das weder richtig noch schön, für die innere Sicherheit aber wenig relevant. Wird aber fälschlicherweise erzählt, die Regierung wolle alle zwangsimpfen lassen, und wenn dann noch Diskussionen und Vermutungen entstehen, wie das denn wohl realisiert werden soll, dann ist diese Falschmeldung eine Nachricht mit einem besonders hohen Risiko. Zuverlässiger, verantwortlicher und unabhängiger Journalismus könne verhindern, dass es zu solchen riskanten Nachrichten käme, so schloss Mona Yassin ihre Ausführungen. Dr. Nouha Belaid gab einen Überblick, wie sich der Journalismus in Tunesien in den letzten Jahren entwickelt hatte, auch in Zeiten des sogenannten Arabischen Frühlings und von Corona. Eine Infektion mit Corona ist oft immer noch ein Stigma Einen Aspekt, den ich selbst bislang zum Thema Corona-Pandemie völlig vernachlässigt hatte, brachte Zeinab Ghosn in die Veranstaltung ein. Das Rote Kreuz hat unter anderem die Aufgabe, die Zivilpersonen in Krisensituation zu beschützen. Auch sie konnte feststellen, dass unter den Stichwörtern „Covid19“ und „Corona“ zahlreiche Misinformationen verbreitet wurden. Das Rote Kreuz habe dann eigene Kommunikationswege genutzt, um korrekte Daten publizieren zu können. Zum einen führte sie an, dass das Rote Kreuz viel Erfahrung auch mit Toten hätte, von denen man nicht kommuniziert hätte, dass sie an Corona verstorben seien. Eine Infektion gelte in vielen Teilen der Bevölkerung immer noch als Stigma und würde daher verschwiegen. Sie betont, dass, wie in Europa, immer wieder Dialoge notwendig seien, um aufzuklären. Allerdings gab sie auch zu bedenken, dass nicht alle Menschen Zugang zu Informationen und erst recht nicht zu Impfungen hätten - sie erwähnt Syrien, Irak und den Jemen. Aber nicht nur in der arabischen Welt, überall auf der Welt gäbe es Menschen, die bei dem Thema Abstandsregeln und Hände waschen nur bitter lachen und den Kopf schütteln können. Menschen weltweit in Camps, in Flüchtlingslagern, in Gefängnissen. Sie forderte Journalisten auf, nicht nur über das zu schreiben was sie sähen, sondern auch über Situationen zu berichten, die nicht für jeden allgegenwärtig wären. Da kann ich ihr nur recht geben Ich frage mich aber gleichzeitig, wie wir hier in dieser Region - und ich meine tatsächlich Region und nicht Land - an solche Informationen kommen sollen. Das Thema „Wie komme ich an Informationen“ beherrschte dann auch weitestgehend den zweiten Tag. Zuvor gab es aber als Abschluss dieser Veranstaltung noch die Fragerunde. Bei mir kam die Frage auf, wie man denn den Teil der Misinformationen handhaben wolle, die wir Journalisten nicht beeinflussen können. Das niedrige Bildungsniveau in Ägypten ist hinreichend bekannt und die Frage ist, wie viele Menschen lesen denn Zeitung oder schauen sich in Facebook die Information des Gesundheitsministeriums über Abstandsregeln an? Die Frage, die sich dahinter verbirgt, lautet ja auch, wie viele lesen denn wirklich in der Bevölkerung und wen erreiche ich wie? Fernsehen ist natürlich ein wichtiges Medium. Aber im Tagesgeschehen findet die Kommunikation hier Downtown in Kairo im Kiosk statt. Und ich stelle mir vor, dass es funktioniert wie die berühmte stille Post. Jemand kommt in den Kiosk und erzählt, was er von jemandem über das Impfen gehört hat dem Kioskbesitzer. Dieser erzählt es weiter an den nächsten, der in den Kiosk kommt und den er gut kennt. Möglicherweise hat der aber schon von anderer Seite wieder etwas anderes gehört. Dann wird heftig diskutiert zu dem Thema, von dem Beide eigentlich nichts oder nur wenig vom Hörensagen kennen, und dann wird es weiter und weiter erzählt und wird zu einer eigenen Wahrheit. Dagegen haben wir Journalisten, glaube ich, einfach keine Chance
Am nächsten Tag stand das Thema „Wasser“ mit seinen Chancen und Herausforderungen für den Journalismus auf der Tagesordnung sowie "Wissenschaft und Inklusion". Für mich konnte der zweite Tag mit dem ersten in keinster Weise mithalten. Dabei hatte ich mir gerade zum Thema Wasser etliches versprochen, denn ich hatte im Rahmen meiner Journalistenausbildung zum Thema Wissenschaftsjournalismus mit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) am Thema Nil und Wassermanagement in Ägypten gearbeitet. Frau Dr. Tahani Sileet vom Ägyptischen Ministerium für Wasser Ressourcen und Bewässerung brachte spannende Zahlen zum Thema Wasser, Umwelt, Klima, Auswirkung auf die Wirtschaft sowie Verwendung und Wiederverwendung von Wasser in Ägypten mit. Das ist ein mehr als interessantes Thema für einen eigenen Artikel. Ägypten ist zum Beispiel das trockenste Land der Welt und zu 97 % in der Wasserversorgung vom Nil abhängig. Wasser wird in Ägypten drei Mal wiederverwertet. Nur 3,5 % des Landes sind kultiviert und über 60 % an Lebensmitteln müssen importiert werden. Es gibt, unter anderem auch durch die Überbevölkerung Ägyptens, mehr Nachfrage an Wasser, als derzeit vorhanden ist. Sie gab einen kurzen Überblick zum Thema Nil und die Herausforderungen durch die verschiedenen Staaten die am Nil partizipieren und gab Ausblick auf mögliche Projekte und Lösungen für die Zukunft. Eine Krise oder gar die Idee, einen eventuellen Konflikt zum Thema Wasser mit Waffen zu lösen, gäbe es nicht. Journalisten, so der Wunsch von Dr. Tahani, mögen positive Meldungen zum Thema Wasser in den Medien verbreiten, um mögliche Krisen dadurch abzuwenden. Ich habe mich in dem Moment gefragt, ob das denn wirklich die Aufgabe der Journalisten sei. Als Dr. Dawood im Anschluss anfing, Journalisten zu belehren, dass die Journalisten dies tun und jenes tun müssten, wurde ich fast ein bisschen sauer. Ich kenne die Aufgaben in meinem Beruf und muss mir nicht vorhalten lassen, dass es in exemplarischen Berichterstattungen von Journalisten Fehler in Zahlen gegeben hätte, die zu Misinformationen geführt hätten. Was nicht im Podium und in den Veranstaltungen diskutiert wurde, aber in den Gesprächen darum herum beim Kaffee oder Mittagessen immer wieder aufkam, waren nämlich zwei Fragen. Wie wird die Aufgabe des Journalismus zwischen Wissenschaft als Informationslieferant und Journalisten als Medien verstanden, und wie kann eine konstruktive Verbindung zwischen beiden erfolgen? In der westlichen Welt wird Journalismus als vierte Gewalt verstanden Das ist aber in anderen Teilen der Welt nicht so. Oft wird Journalismus als Marketingabteilung von Firmen und Regierung erwartet. Dass wir Journalisten eine Pressemeldung zwar als Impuls lesen, dann aber gerne noch mit weiteren Beteiligten sprechen möchten, andere Quellen hinzuziehen oder gar einen Kommentar dazu schreiben, ist oft nicht bekannt oder auch nicht gewollt. In vielen Ländern soll die Presse mit dazu beitragen, die Stabilität im Land durch entsprechende Nachrichten aufrecht zu halten und Unruhen zu vermeiden. Das ist aus Sicht dieser Länder sicherlich verständlich, und eventuell muss ich da als westliche Journalistin auch umdenken. Dennoch bleibt es schwierig, an Informationen zu kommen, das bestätigen mir immer wieder Kolleginnen und Kollegen. Oft werden vorhandene Nachrichten in den Medien auch einfach nur weiterverwertet. Egyptianstreets beispielsweise publiziert häufig Artikel mit dem Hinweis „abgeschrieben aus Ahram Online“. Abgeschrieben sagen sie nicht, aber es ist de facto so. Eine junge Kollegin auf der Veranstaltung erzählt mir beim Mittagessen, sie habe Dr. Tahani genau zu diesem Thema angesprochen, wie sie denn für das Nature Magazin, für das sie schreibe, an Informationen zum Thema Wasser in Ägypten kommen könne. Sie habe den Rat bekommen, sie solle doch die Presseabteilung anschreiben. Na, das sei ja mal eine ganz tolle Idee, darauf wäre sie ja selbst nie gekommen, hatte sie sich bei dieser Antwort gedacht. Geantwortet habe sie nur, dass ihr niemand geantwortet hätte, erzählt sie halb schmunzelnd. Die gleiche Erfahrung hatte ich auch im Rahmen meiner Recherche mit der GIZ. Ich saß in der Verwaltung des Wasser-Ministeriums einer Mitarbeiterin der GIZ gegenüber, stellte meine Fragen, die ich durchaus berechtigt und interessant fand, und bekam zu jeder zweiten Frage die Antwort, dazu würde sie nichts sagen. Die Veranstaltung im Goethe-Institut mit allen Referenten und dazugehörigen Gesprächen hat wieder einmal sehr deutlich gemacht, dass ich hier in Kairo in einer ganz anderen Welt lebe. Unter anderem mit einer Business-Kultur, in der man zwar um Mitternacht noch geschäftlich angerufen wird, E-Mails in der Regel aber nicht beantwortet werden und man Informationen und Kontakten ewig hinterherlaufen muss. An Tagen wie diesen stellt sich mir persönlich auch immer wieder die Frage, ob und wie lange ich mich den Herausforderungen hier noch stellen möchte. Oder ob ich mir einen neuen Lebensmittelpunkt suche oder gar in eine Redaktion nach Deutschland wechsle, oder ob ich hier leben bleibe und mich auf den risikolosen Verbraucherjournalismus konzentriere und in Kairo das schöne Wetter genieße. Und wie immer lautet die Antwort in Kairo „hanshouf“ - wir werden sehen.

ABBA - Oma und Opa singen wieder

ABBA - Oma und Opa singen wieder

Ein Kommentar zum Comeback der Popgruppe ABBA Nach Schneewittchen und Hanni & Nanni war "Souper Trouper" von ABBA meine erste Schallplatte. Sie wurde noch spät abends heimlich mit dem Plattenspieler ohne Lautsprecher nur mit der Nadel angehört, und die Songs von ABBA kannten selbst meine Eltern. 1982 war die Erfolgsgeschichte von ABBA erstmal vorbei. Ein GOLD-Album als Best-of-Edition und ein ABBA-Musical "Mamma-Mia" folgten als Wiederverwertung bestehender Songs. Neues schufen Benny Andersson und Björn Ulvaeus mit zwei Musicals, "Chess" und "Kristina fran Duvemala". Wer sich an Chess nicht erinnert, kennt möglicherweise aber den Song "One night in Bangkok", und die Kristina im gleichnamigen Musical wurde von Helen Sjöholm gesungen, die wir in Deutschland aus "Wie im Himmel" mit "Gabriellas Song" kennen. Auch im Schlagerbereich arbeiteten die ABBA-Männer mit Helen Sjöholm und Peter Jöbeck zusammen. Die Mitglieder von ABBA sind heute alle zwischen 71 und 76 Jahre alt. Und nach knapp 40 Jahren tauchen sie am Markt wieder mit einem neuen Album auf. Dabei hieß es jahrelang, dass ein Combeback von ABBA unbdenkbar sei. Alle Welt ist gespannt, und es werden Live-Streams weltweit zur Präsentation organisiert. Hier in Kairo haben wir davon nicht viel mitbekommen, aber in der Presse ist es überall präsent. Und mein schwedischer Promoter-Kollege postet in unserer Facebookgruppe mehr als stolz, dass sogar Nachrichten unterbrochen wurden, um den neuen Song von ABBA ja nicht zu verpassen. Während die Welt jubelt, bin ich enttäuscht Das neue Album heißt "Voyage" und die ersten Songs, die vorgestellt werden "I still have faith in you"sowie "Don't shut me down". Ich höre den Sound von ABBA, aber ich höre nicht ABBA heute. Ich höre ABBA von vor 40 Jahren. Ich war neugierig, wie ABBA heute klingen würden, denn 40 Jahre hinterlassen Spuren. Im Leben und in der Stimme. Und das hätte ich gerne gehört und gesehen. Stattdessen höre ich Studioaufnahmen, von denen jeder weiß, dass mit der heutigen Technik auch meine Stimme wie ABBA klingen könnte. In den Videos sind bis auf die letzte Minute ABBA aus den 70ern und 80ern zu sehen. Das kenne ich schon. Das habe ich schon mal gesehen und gehört. Dennoch hat "I still have faith in you" auf youtube mehr als 17 Millionen Klicks in wenigen Tagen. Die letzten Videominuten in "I still have faith in you" vermitteln, wie das angekündigte Konzert des Voyage-Albums aussehen könne. So, wie Golum in den Herr-der-Ringe-Filmen mit einer Digitalversion abgebildet wurde, soll auch das ABBA-Konzert realisiert werden. Die Bandmitglieder tragen Anzüge, und deren Bewegungen werden auf die eigenen, digitalen Abbilder übertragen. ABBA aus den 70er- und 80er-Jahren werden damit auf der Leinwand oder als Hologramm wieder lebendig. Ich bin fasziniert, was technisch alles möglich ist. Und vor dem Hintergrund der aktuellen Coronapandemie und zahlreicher ausfallender Konzerte besteht, neben der Faszination über die technischen Möglichkeiten, die Befürchtung, dass diese Digitalkonzerte einen Teil der zukünftigen Konzertwelt ausmachen könnten. In einem Livekonzert gehört immer aber auch die Interaktion zwischen Publikum und Musikern mit dazu, was in einem Hologramm-Konzert in der Form aber nicht möglich ist. Das Ende vom Video "Don't shut me down" zeigt endlich das, was ich sehen möchte. ABBA, wie sie heute im Studio arbeiten. Leider nur eine einzige Minute. Liebenswerte ältere Leute, aber immer noch unverkennbar ABBA. Ich kann mir vorstellen, dass für über 70-Jährige die Arbeit im Studio und vor allem ein stundenlanges Live-Konzert sehr anstrengend ist. Ein digitales Hologramm-Konzert ist technisch unglaublich beeindruckend und eine perfekte Marketing-Idee. Aus musikalischer Sicht kann ich aber darauf verzichten. Ich hätte ABBA lieber in Erinnerung behalten, wie ich ABBA aus meiner Jugendzeit kannte. Und wenn ABBA wirklich nochmal gemeinsam auf die Bühne kommt, dann aber so, wie sie heute sind. In Würde gealtert und mit einer Lebensgeschichte, die sich in ihren Stimmen und Liedern widerspiegelt. Vielleicht klingt ABBA dann wie ABBA, die alt geworden sind, aber dann wäre es wenigstens authentisch. Björn und Benny sind aus meiner Sicht hervorragende Musical-Komponisten. Eine Hologramm-Show hätte man sich für neue Musicals und Kompositionen aufheben können. "Du Maste Finnas" aus Kristina von Benny Andersson und Björn Ulvaeus - Konzertversion
Musik, die mich wesentlich mehr berührt, als die neuen ABBA-Videos

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