Die Männer von Erasing Mankind
"Chadi - Chaaadiiiii" rufen die noch verbleibenden Gäste im Jazzclub610 in Sheikh Zayed bei Kairo gemeinsam mit der Moderatorin. Eine lange Nacht geht zu Ende, und Chadi soll bringen, worauf alle warten: Den Namen der Gewinnerband vom Metal Battle in Middle East/Ägypten. Es ist fast zehn Jahre her, seitdem im Herbst 2013 zum ersten Mal ägyptische Bands aufgefordert waren, sich für den Bandnachwuchswettbewerb des legendären Wacken-Festivals zu bewerben. Seitdem fand der Metal Battle in Middle East fünf Mal statt - drei Mal in Ägypten, einmal im Libanon und einmal im Libanon und parallel in Dubai. Den besten Erfolg erzielte 2015 die Band Blaakyum aus Beirut. Sie erreichten im Finale in Wacken den dritten Platz. Auch in Ägypten hat man inzwischen verstanden - beim W:O:A Metal Battle geht es um was. Nämlich darum, im Finale des Metal Battle auf dem Wacken-Festival auftreten zu dürfen. Jedes Jahr reisen Gewinnerbands aus 30 Ländern und Regionen von überall aus der Welt an. Selbst in der Ukraine wird in diesem Jahr der Metal Battle stattfinden. Die Promoter, die verantwortlichen Organisatoren der weltweiten Metal Battle, sind die Juroren im Finale. Neben der eigenen Performance auf dem Festival haben die Bands die Möglichkeiten zum Networken in der Metal Battle Lounge und sind natürlich beim Festival im Publikum mit dabei, um die großen Vorbilder live zu erleben. Somit ist es kein Wunder, dass alle teilnehmenden Bands am Abend des 4. März in Kairo nervös sind. Aus sechs Bewerbungen wurden vier Bands ausgewählt, im Metal Battle teilzunehmen - Bovem und Mythos aus Alexandria, Medic und Erasing Mankind aus Kairo. Als Opening Act eröffnete die Newcomerband Catharsis mit ihrem allerersten Liveauftritt überhaupt den Abend, als Gastband performte Kato Hafez aus Alexandria. Der Abend gestaltete sich nicht nur zu einem sowieso in Ägypten seltenen Metalkonzert, sondern nach Corona, wie es im Nachhinein hieß, zu einem Revival der Metal-Szene in Ägypten. An dem Abend fand eine Art Szenetreff statt. Nicht nur Fans waren gekommen, sondern auch Vertreter zahlreicher weiterer bekannter ägyptischer Metalbands wie Scarab, Crescent, Segadoras, Wujood oder Nathyr, teilweise mit ihren Ehefrauen. Auf der Bühne stand nun pro Band ein Vertreter und nahm das Erinnerungsposter mit den Unterschriften aller Juroren in Empfang. Die Jury wurde von Chadi Ashraf geleitet, der seinerseits das erste Mal im Organisationsteam rund um die verantwortliche Promoterin für Middle East, Monika Bremer, mit dabei war. Seit 2018 zählt zum Organisationsteam ausserdem Immanuel Sulzer, der als Artist Manager die Bands sowohl im Metal Battle vor Ort in Middle East als auch in Wacken betreut und rechtzeitig auf das VIP-Campinggelände als auch Backstage auf die Bühne begleitet. Zur Jury gehörten in 2023 Chadi Ashraf, Co-Promoter in Middle East, Event- und Medienmanager Ismaeel Attallah, Frontman von Crescent, der ersten Gewinnerband in Middle East/Ägypten überhaupt Amr Hefny, Inhaber des Ganoub-Studios, Studio-Heimat zahlreicher Bands in Kairo Donia Taher, Gitarristin der Newcomer-Band Catharsis und Schlagzeugerin Asaad Nessim, Gitarrist der alteingesessenen und berühmten Band Wust el Balad Chadi überreichte an Monika endlich das kleine grüne Kästchen, das den Namen der Gewinnerband beinhaltete. Erste enttäuschte Gesichter gab es, als es hieß, die Gewinnerband sei aus Kairo. Als Monika sich zu Sayed umdrehte und ihm mitteilte "Sayed, your dream comes true, you are going to Wacken, it is Erasing Mankind", da waren die Reaktionen der Bandmitglieder ganz unterschiedliche. Bahaa, der Gitarrist der Band, stand bei der Bekanntgabe hinten im Saal bei seinen Freunden und sprang anschließend wie ein HB-Männchen durch den Jazzclub. Frontman Sayed nahm das Mikrofon und schrie hinein, wie f***ing awesome das alles und wie f***ing drunk er sei, was ihm aber niemand an dem Abend übelnahm. Tarabeshi und Karim guckten völlig verdattert und konnten noch gar nicht glauben, was da gerade passiert war. Es mag sein, dass der Abend des Metal Battle der zunächst spannendste Teil des Wettbewerbs war, der anstrengendste Teil liegt jetzt aber noch vor der Band. Jedes teilnehmende Land und jede teilnehmende Region hat im weltweiten Metal Battle seine eigenen Herausforderungen. Im muslimisch geprägten Ägypten zählt seit Jahrzehnten der latent immer mitschwingende Vorwurf des Satanismus zu den permanenten Herausforderungen. Verhaftungen und abgebrochene Konzerte konnten in den letzten 20 Jahren immer wieder beobachtet werden. In diesem Jahr erschwert die wirtschaftliche Situation Ägyptens den Metal Battle für die Bands. Konnte man im letzten Herbst einen Euro noch für etwa 20 ägyptische Pfund erwerben, so kostet der Euro mittlerweile 32 LE, auf dem Schwarzmarkt entsprechend mehr, denn US-Dollar und Euro sind in Ägypten knapp. Dazu kommt eine Inflationsrate von etwa 20 %. Daher heisst es jetzt neben Visa beantragen und üben üben üben auch zu schauen, ob sich in Deutschland weitere Auftrittsmöglichkeiten ergeben, um die anfallenden Reisekosten dadurch teilweise abdecken zu können. Eine große Hilfe ist für den Metal Battle die Wacken-Foundation, die kurzerhand entschieden hat, die lokalen Veranstaltungen vor Ort finanziell zu unterstützen und dadurch realisierbar zu machen. Weil Ägypten aufgrund der zu beantragenden Visa den Metal Battle sehr frühzeitig durchgeführt hat, übernimmt die Wacken-Foundation nun die Kosten der Reiseversicherung und der Visa. Für den Wacken-Topf mag die dreistellige Summe zu den kleineren Zuschüssen gehören, für Erasing Mankind sprechen wir von einem Monatsgehalt. Doch wer sind die Männer von Erasing Mankind? Alle vier Bandmitglieder standen dankenswerter Weise für Interviews zur Verfügung. Unter anderem wurden sie gefragt, wie sie zur Musik und zu Erasing Mankind kamen, was ihre größten Erfolge und Misserfolge aber auch ihre lustigsten Momente waren. Worauf freuen sie sich in Wacken, und was macht ihnen Sorgen? Einig sind sich alle, dass sie jeden Moment in Wacken genießen möchten und sie keinen Moment mit Erasing Mankind bereuen. Sorgen macht ihnen vor allem die instabile Währung, persönlich aber haben sie höchstens Angst vor Grippe durch nasskalten Sommerregen. Sayed Ragai - Vocalist Sayed war nicht zum ersten Mal beim Metal Battle in Ägypten dabei. Bereits 2014 trat er - beim ersten Metal Battle in Ägypten überhaupt - mit seiner damaligen Band Sinprophecy an. Diesmal, mit Erasing Mankind, wollte er seine zweite Chance nutzen. "Make it count" war seine Motivation. Denn wer weiß schon, ob es noch eine dritte Chance für die Teilnahme am Metal Battle geben wird, meinte er. Daher wurde für den diesjährigen Metal Battle täglich geübt und regelmäßig geprobt. Die Band Sinprophecy existiert seit einigen Jahren nicht mehr - einer derjenigen Momente, die Sayed besonders getroffen hat in seiner musikalischen Laufbahn, die seiner Aussage nach voll von Enttäuschungen war. Besonders hart war es für ihn im Jahr 2012. Mit Metalmusik würden sie Satanismus praktizieren lautete die Anklage, als Sayed verhaftet wurde. Er wird nachdenklich und gesteht: "In diesem Moment hatte ich das Gefühl, die Zeit bleibt stehen". Und er hatte schon befürchtet, es gäbe zukünftig keine Metalszene mehr in Ägypten. "Doch schau, wo wir heute stehen", schließt er seine Antwort ab. Seine Liebe zur Musik hat er vor allem seinem Onkel zu verdanken, der ihm in den 90er-Jahren einen Walkman aus den USA mitgebracht hat. Für alle jungen Leserinnen und Leser - ein tragbares Musikabspielgerät für Kassetten. Madonna fand er damals nicht so toll, Michael Jackson war schon besser. Am liebsten hörte er jedoch die sogenannten Cocktail-Tapes, die Best of aus allen möglichen Musikgenres. Anfang der 2000er fing er dann selbst an, Musik zu machen. Er war aber ein lausiger Schlagzeuger, musste er schmunzelnd eingestehen. Während einer Bandprobe griff er eher zufällig zum Mikrofon und stellte fest, dass er eine kraftvolle Stimme hat. Mehr als das Singen selbst liebte er als Vocalist, dass er seine eigenen Texte und somit etwas von sich selbst ausdrücken kann. Das habe ihn so motiviert, dass er mit Leib und Seele Frontman von Erasing Mankind ist, und er weiß, dass er auf der Bühne gesehen und gehört wird. Bahaa El Dahaby - Gitarrist Musik ist für Bahaa Beruf und Berufung. Mit Wacken wird für Bahaa ein Traum wahr, für den er sein tägliches Übepensum verdoppelt hat, gesteht er. Auch seine musikalische Laufbahn begann mit seinem Onkel, der selbst Musiker war und ihn regelmäßig mit zu den Proben ins Studio nahm. Bahaa durfte mit der Band seines Onkels gelegentlich singen. Es stellte sich schnell heraus, dass Singen nicht seine Berufung war, und der Onkel fragte dann vorsichtig, ob er nicht lieber ein Instrument lernen möchte. Er wollte Gitarre spielen und nahm theroretischen und praktischen Unterricht, unter anderem bei Rashad Fahim. Damals war er zwölf. Heute hat er nicht nur sein eigenes Bahaa-El-Dahaby-Quartett, sondern spielte mit namhaften Musikern aus Ägypten wie Ali Al-Hagar und zahlreichen Bands wie Veritatem Solam, Abdeen und anderen. Wer bei Bahaa Gitarrenstunden nehmen möchte, muss sich auf eine Wartezeit von drei Monaten oder länger einstellen, verrät eine befreundete Gitarristin. Ebenso wie auch Sayed erzählt Bahaa die witzige Geschichte von der Bandgründung von Erasing Mankind. Man kannte sich untereinander, machte aber in 2019 keinen Metal. In einer Bar trafen sich Sayed, Tarabeshi und Bahaa bei einem Auftritt zufällig wieder. Sayed war Entertainment Manager in der Bar, Bahaa und Tarabeshi hatten dort einen Auftritt mit einer anderen Band. Man freute sich über das Wiedersehen und verabredete sich für die kommende Woche. Man trank gemeinsam eine Flasche Whiskey, Monkey Shoulder. Die leere Flasche wird bis heute aufbewahrt. Etwas beschwipst stellten die drei fest, dass sich in der Runde gerade ein Vocalist, ein Gitarrist und ein Schlagzeuger befanden und man entschied in Whiskey-seeliger Laune, eine neue Metal-Band zu gründen, Erasing Mankind. Bahaa meinte an dem Abend zu Sayed: "Ey Man, Du bist betrunken. Ich glaube Dir erst, dass Du das wirklich ernst meinst, wenn Du morgen ausgeschlafen hast und mich um 18 Uhr anrufst." Sayed schlief aus und rief Bahaa an und Erasing Mankind war beschlossen. Karim Mounir - Bassist Der Band fehlte bei der Gründung noch ein Bassist. Wie es der Zufall so wollte, trafen sich Karim und Sayed im Vibe-Studio in Dokki, Kairo. Karim wollte ein Soloprojekt aufnehmen, Sayed seine Vocals. Beide kannten sich seit Jahren, Karim war aber eine Zeit lang aus beruflichen Gründen in Dubai. Als Sayed ihm von Erasing Mankind erzählte, war Karim ganz aus dem Häuschen und sofort mit dabei. Bei Karim wurde zuhause immer Musik gespielt, seine Eltern liebten es, Musik zu hören. Unter Freunden wurde Musik getauscht und sich darüber unterhalten. Im Alter von 11 oder 12 wollte Karim ein Instrument lernen. Weil Schlagzeug zu laut und zu teuer war, wurde es ein Bass. Seitdem spielte Karim in Bands wie Karma, Of the Mighty, Circus Monster oder Massive Scar Era. Wirklich enttäuschende Momente in seiner Karriere sieht er keine, doch er wünscht sich, dass es in Ägypten mehr Venues für Metal gäbe und echte Metal-Konzerte mit Mosh-Pits möglich wären. Darauf freut er sich in Wacken mit am meisten. Sorgen oder Bedenken hat er im Hinblick auf Wacken keine. Aber Karim ist der Organisator der Band, der sich auch um die Visa-Termine und alles Administrative kümmert. Da hofft er natürlich, dass seitens der Organisation nichts schief geht. Mostafa El Tarabishi - Schlagzeuger Mostafa ist der einzige Familienvater in der Band. Er fing im Jahr 2004 mit Schlagzeug an. Damals war er 16. Beigebracht hat er es sich selbst und spielte bereits mit den Bands Midjai und Enraged. Sein Traum ist es, mit Erasing Mankind auf Tour zu gehen und auf Festivals zu spielen. Auch für ihn ist Monkey Shoulder das Zauberwort für Erasing Mankind. Er erinnert sich aber auch noch genau an den Moment, als die Band Karim das erste Mal traf. Sie waren in einer Bar und es gab einige Stunden Stromausfall. Weil Mostafa Karim bis dahin noch nicht kannte, nahm er in den ersten Stunden der Begegnung mit Karim nur seine Stimme wahr und wusste nicht, wie Karim aussieht. Die Vorbereitungen für den Metal Battle empfand er als anstrengend, denn neben allen Proben nahm die Band auch noch neue Songs auf. Mostafa ist der Einzige, der auf die Frage, ob es Momente gibt, die er am liebsten löschen möchte, nicht mit "nein, alles ist gut" antwortet. Ihm tut diejenige Zeit leid, die er in seinem Leben nicht dazu genutzt hat, Neues zu lernen. Diese Momente würde er gerne löschen und nochmal neu und sinnvoller gestalten. Die Coronazeit hat zudem einen großen Einschnitt hinterlassen und viele Dinge verändert, die heute anders sein könnten. Bedenken für den Trip nach Wacken hat er keine, aber grundsätzlich sorgt er sich um die wirtschaftliche Situation sowie um Kriege und zukünftige Pandemien. "Make it count" Natürlich wäre es schon hilfreich, wenn es in Ägypten mehr Venues für Live-Auftritte für Metal gäbe. Doch damit in Ägypten Metal-Konzerte wie in anderen Ländern oder Regionen stattfinden könnten, müsste es viel mehr Aufklärung über Metalmusik geben, damit die Fanbase wachsen könnte. Eine größere Fangemeinde würde für die Bands nicht nur Support in ihren Konzerten bedeuten. Mehr Gäste bedeuten auch mehr Einnahmen und höhere Gagen. Zudem kaufen Fans Merchandising und Musik, um ihre Band zu unterstützen. Wäre es möglich, die großen Namen der Metal-Szene wie Nightwish, In Flames oder Opeth für Live-Auftritte nach Ägypten zu holen, dann wären diese Konzerte auch für Sponsoren interessant, und von Sponsoren könnte auch ein Metal Battle in Ägypten profitieren. Die wirtschaftliche Situation lässt derzeit davon aber nur träumen. Der Metal Battle ist daher für die ägyptische Metal-Szene aktuell das Highlight. Denn durch den Metal Battle wird Ägypten Teil der weltweiten Metal-Gemeinschaft, nicht nur, aber vor allem im Finale in Wacken. Für das nächste Jahr ist die Erweiterung des Metal Battle Middle East um Saudi Arabien und Bahrain geplant. Im Winter geht es also auf nach Riad, um mit der Deutschen Botschaft dort vor Ort zu sprechen und vom Entertainment-Ministerium die Genehmigung für einen Metal Battle einzuholen. Wie immer bleibt es spannend.