Ein Ü-belisk in Tanis
Halb sieben ist für ein Wochenende wirklich früh, doch unser Ziel Tanis liegt im Nildelta beim Städtchen San Al-Hagar, 119 km von Kairo entfernt. Die Straßen im Großraum Kairo sind gut ausgebaut, aber die sandigen Landstraßen winden sich durch die kleinen Bauerndörfer. Mit unserem Minibus erregen wir Aufsehen, denn wir haben lautstarke Begleitung. Wir durchqueren mehrere Regierungsbezirke und erhalten Polizeieskorte in jedem Bezirk, die sich mit ihren Polizeisirenen lautstark bemerkbar macht. Einige Kollegen finden es ganz cool. So ganz ist uns auch nicht klar, warum wir diese Begleitung benötigen, und auch Dalal, unsere Reiseleiterin, weiß nicht wirklich Antwort. Sie erzählt über das Anbaugebiet im Nildelta. Im Moment werden am Straßenrand vor allem Kartoffeln, Mandarinen und Erdnüsse verkauft. Der Regierungsbezirk Al-Sharqqiya sei aber nicht nur bekannt für Landwirtschaft, sondern auch für erstklassige Pferdezucht. So gegen zehn erreichen wir San Al-Hagar. Eine Weile fahren wir bereits an der Mauer der Ausgrabungsstätte entlang, passieren noch einen kleinen Viehmarkt und fahren dann den Hügel hinauf. Von dort blickt man auf das Städtchen, dessen goldene Moscheekuppel prächtig in der Sonne blinkt. Daneben das weite Ausgrabungsfeld, auf dem erstmalig 1860 Ausgrabungen stattfanden, ragen vereinzelt Säulen 'gen Himmel, die von Ferne zwar zu sehen, jedoch nicht zu erkennen sind. Vier Tempel sollen hier einmal gestanden haben, im Zentrum ein Tempel von König Amun. Die goldene Totenmaske von ihm soll im ägyptischen Museum zu besichtigen sein, erzählt uns Dalal. Der erste Weg führt uns über die dunkle, noch regenfeuchte Erde zu unterirdischen Grabkammern. Viele Herrscher der 21. und der 22. Dynastie haben hier ihre Ruhestätte gefunden, und es wurden einige noch ungeöffnete Gräber mit allen Grabbeigaben entdeckt. Tanis kann nicht mit so prunkvollen Tempeln und Gräbern aufweisen wie beispielsweise Luxor. Aber die Ausgrabungen stehen hier auch noch am Anfang, und die Rekonstruktion hat erst begonnen. Dort, wo man die Fundstücke entdeckt, werden sie erstmal liegen gelassen, nach und nach sortiert und dann rekonstruiert. Wir lachen, als Dalal uns eine Reihe von Obelisk-Fragmenten zeigt. Eine Schulter, ein Bein, ein Stück vom Kopf. Wie ein riesiges 3D-Puzzle sieht es aus, und über den Kommentar "ein Übelisk", "zum Selberbauen" muss ich schmunzeln. Dalal beginnt mit uns den Rundgang über das Feld und erzählt über Tempel, Könige, Bauweisen und den angeblichen Macho, König Ramses II. "Eine Tempelanlage ist das Haus des Gottes und besteht immer aus Stein - Kalkstein, Sandstein, Granit, Basalt. Niemand wohnt in dem Tempel, vielmehr birgt der allerheiligste Raum die Statue des entsprechenden Gottes. Die Menschen glaubten, dass die Seele des Gottes durch die Statue in den heiligen Raum kommt. Der allerheiligste Raum wird als erstes gebaut und es führt immer ein gerader Weg nach draußen. Diese Achse soll einen Sonnenstrahl darstellen - irgendwie geht es meist immer um Götter und die Sonne. Entlang der Achse werden Nebenräume errichtet und abschließend der Eingang, der von zwei Pylonen eingefasst ist. Dieses sind Obelisken und Statuen von Königen Ägyptens. Zum Schutz des Tempels wird um ihn herum eine Mauser aus ungebrannte Ziegeln errichtet, ohne großartige Befestigung. Nachdem der Tempel einem Gott und keinem König gehört, kann jeder König kommen und in dem Tempel regieren. Natürlich möchte jeder König seine Spuren hinterlassen und eine Erinnerung an sich selbst hinterlassen. Damit der Bereich um den Tempel herum erweitert werden konnte, durfte die Tempelmauer nur in leichter Bauweise errichtet werden. Entlang der Mauer standen zudem die kleinen Häuser der Priester und der Handwerker, die beispielsweise den Schmuck für den König herstellten. Auf dem Gelände befindet sich zudem der zweitgrößte heilige See zur Reinigung für die Priester, der größte See gehört zum Karnak-Tempel. Das Waschen vor dem Gebet kennen die Muslime bis heute. Gebete und Gottesdienste gab es im Tempel in Tanis drei Mal täglich, vor Sonnenaufgang, mittags und bei Sonnenuntergang." Tanis wurde erst bekannt in der 21. Dynastie. Ramses II. war der dritte König in der 19. Dynastie im neuen Reich, 1.300 Jahre vor Christus, und Dalal kommt etwas in Rage, als sie von ihm erzählt. "Ramses hat Ägypten 77 Jahre regiert. Der war doch verrückt und ein Mafiosi und ein Romeo. Überall hat er Tempel gebaut, insgesamt wurden bislang 19 Tempel-Anlagen von ihm gefunden. Wo er nicht selbst gebaut hat, hat er seinen Namen in Form einer Kartusche hinterlassen. Außerdem hatte er viele Frauen. Seine Hauptfrau war Nefertari (Nafret-Ari). "nafret" ist ein weibliches Adjektiv für "schön", ein "ari" angehängt die Steigerungsform, das Superlativ, also "die Allerschönste". Ramses stammt aus einer kleinen Stadt, 30 km entfernt von Tanis, "Berramisu", dem heutigen Qantir. Ramses hat in Tanis zwar seinen Namen hinterlassen, und es finden sich auch Statuen von ihm, gearbeitet hat er in Tanis jedoch nie. Seine Statue entspricht der Idealvorstellung von einem Menschen. Die ägyptische Kunst hat immer Idealvorstellungen hervorgebracht und kein Abbild der Realität. Zudem ging man davon aus, dass man entsprechend des Abbildes wiedergeboren würde. Daher wurde auch beispielsweise immer darauf geachtet, dass zum Beispiel alle Finger der Hand zu sehen sind, auch, wenn man dafür zwei linke Hände darstellen musste". Während ich das gerade so schreibe, überlege ich bei dem Gedanken an den ein oder anderen ägyptischen Handwerker, ob einige davon bereits wiedergeboren sind, aber das wäre ja gemein, so etwas zu denken. Dalal hat unzählige Informationen und Geschichten für uns. Über Respekt und Kunst, über Kartuschen und Namen und wie man Granit für die Säulen aus dem Boden gewonnen hat. Wir besuchen den Platz der allerheiligsten Halle mit den bereits errichteten Obelisken, schauen uns den heiligen See an und einen alten Brunnen, der aber als Nilometer gedient hat. Bei schönstem Sonnenschein machen wir uns gegen Mittag dann wieder auf den Weg zu unserem Bus und fahren weiter nach Tell Basta, einer weiteren Ausgrabungsstätte in Al-Sharqiyya. In dem 2017 fertiggestellten Museum erregen wir einiges an Aufsehen, denn wir sind seit langem die ersten ausländischen Gäste, wenn gar wegen Corona überhaupt die ersten Gäste seit langem. Entsprechend möchte man mit uns Fotos machen und mit uns werben. Etwas mürrisch willigen wir dann ein. Im Museum bestaunen wir Schmuck, Katzenfiguren und kleine Särge. Im Außenbereich liegen viele Ausgrabungsstücke nummeriert an ihrer Fundstelle und sollen demnächst zum Tempel rekonstruiert werden. Nur die Merit-Statue, die Tochter Ramses II., blickt erhaben über das Areal und die Stadt im Hintergrund. Der Brunnen, aus dem Maria, die Mutter Jesu, auf ihrer Reise durch Ägypten getrunken haben soll, wurde bereits gemauert und liegt inmitten der Fundstücke. Man will wohl den Weg, den die Heilige Familie durch Ägypten gegangen ist, wieder ausbauen. Auch Tanis ist heiliges Land. Moses soll dort gewesen sein und der Platz wird im Alten Testament erwähnt. Unsere Kollegen kannten Tanis natürlich aus dem Film "Indiana Jones", der dort die Bundeslade findet. In Ägypten führt so vieles immer und immer wieder auf die Heilige Schrift zurück. Wir fahren nach einem üppigen ägyptischen Essen mit Polizeisirene zurück nach Kairo. Die Polizisten verabschieden sich am Rand von Kairo, wo wir vom alten Ägypten über das landwirtschaftliche Ägypten zurück in die Stadt gelangen. Ein lohnenswerter und spannender Tag, fernab vom nervigen Massentourismus, liegt hinter uns.