Anfang September gab die Nachrichtenagentur RND die Meldung heraus, dass Coronaviren in Spermien überleben können und auch noch bei Genesenen nachgewiesen wurden. "Ein Team des Shangqiu Municipal Hospitals untersuchte in einer kleinen Studie 38 männliche Patienten, die während der Corona-Hochphase im Januar und Februar dort behandelt wurden. Bei rund 16 Prozent konnte das Coronavirus in ihrem Sperma nachgewiesen werden, so die Wissenschaftler in ihrer Studie. Ein Viertel der Patienten habe sich in einem akuten Stadium der Infektion befunden, rund neun Prozent seien auf dem Weg der Genesung gewesen." so die RND. Ob das Coronavirus über Sexualkontakt auch übertragen werden kann, wurde bislang nicht durch die WHO (World Health Organization) bestätigt. Ein Risiko der Tröpfcheninfektion sei jedoch beim Küssen gegeben. Enthaltsamkeit sei also in jedem Fall ratsam, wenn der Partner an Corona erkrankt ist.
Bei Genesenden bilden sich Antikörper, die eine Corona-Immunität bewirken können. Allerdings fehlt laut deutschem Ärzteblatt hierzu noch die Langzeiterfahrung: "Aufgrund der Neuartigkeit von SARS-CoV-2 gibt es noch keine (Langzeit-)Studien dazu, ob Personen, die die Erkrankung durchgemacht haben, vor Neuinfektionen geschützt sind.
In Labortests wurde aber gezeigt, dass Personen nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion spezifische Antikörper entwickeln, die das Virus neutralisieren können. Und vieles spricht dafür, dass neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 im Blut mit einer Immunität einhergehen. Laut Robert Koch-Institut deuten die Erfahrungen mit anderen Coronavirus-Erkrankungen wie SARS und MERS darauf hin, dass ein zumindest partieller Immunstatus bis zu drei Jahre anhalten könnte. Dennoch bleibt unklar, wie robust und dauerhaft eine potenzielle Immunität ist und ob es möglicherweise von Mensch zu Mensch Unterschiede gibt." Wissenschaftler sind jetzt jedoch optimistisch, dass nicht nur Corona-Viren, sondern auch Corona-Antikörper in Sperma vorkommen und auf den Sexualpartner übertragen werden können. Somit besteht die Möglichkeit, die Immunität versprechenden Corona-Antikörper auf natürliche Weise zu erhalten, ohne selbst erkrankt zu sein.
Eine revolutionäre Entdeckung.
Stopp! Bevor Sie sich jetzt auf Ihre männlichen Bekannten stürzen, die von Corona genesen sind, bitte kurz innehalten. Das ist kompletter Unsinn. Darauf reingefallen? Das ist durchaus möglich und durchaus gewollt. Alles in dem Artikel bis zum Absatz, der mit "Wissenschaftler sind jedoch.." beginnt, ist nämlich wahr und die Zitate echt. Das Erwähnen von ausländischen Namen, seriösen Instituten und Zitaten schafft Vertrauen. Warum also sollten Sie dann meinen ausgedachten Nachsatz nicht glauben? Oder ist Ihnen tatsächlich aufgefallen, dass ich in diesem Absatz niemanden zitiert und keine Namen genannt habe? Möglicherweise nicht, denn die wissenschaftlichen Namen und Fachbegriffe der vorangehenden Zeilen wirken noch nach. Eine entsprechende Überschrift, eine passende Zwischenzeile und eine Bildunterschrift verstärken diese Wirkung. Und ich bin gespannt, wie viele Klicks ich für diesen Artikel bekommen werde ausschließlich aufgrund der Überschrift mit dem Keyword "Corona".
Mein Thema ist aber nicht Corona.
Vielmehr sind es zwei Dokumentationen auf Netflix, an denen ich inhaltlich immer wieder hängen bleibe. In Staffel 2 der Serie "Explained" nimmt die Folge "Die nächste Pandemie" die Geschichte verschiedener Pandemien, deren Übertragungswege und potentielle Eindämmungsoptionen unter die Lupe. Unter anderem im Gespräch mit Bill Gates. Nachdem diese Folge im Herbst 2019 erschien und Bill Gates in der Folge eine wesentliche Rolle einnimmt, soll das - so munkelt man - der Ursprung der Verschwörungstheorie sein, Bill Gates hätte aus wirtschaftlichen Interessen Corona erfunden und in der Welt verbreitet. Um Verschwörungstheorien und Fake-News geht es am Rande auch in "Das Dilemma der Social Media", Hauptthema dieser Dokumentation aber ist die Manipulation. Unglaublich helle Köpfe und Ex-Mitarbeiter von Google, Facebook, Twitter, Snapchat, YouTube und anderen kommen hier zu Wort. Sie verraten, wie Algorithmen und Social Media Features dafür sorgen, dass wir, die Social Media Nutzer, möglichst lange online bleiben, so dass man uns möglichst lange Werbung zeigen kann. Die wirtschaftlichen Interessen sind somit mehr als deutlich. Wer glaubt, seine Timeline in Facebook zeige ihm die neuesten Nachrichten seiner Freunde, der irrt. Es werden diejenigen Nachrichten angezeigt, von denen ein Algorithmus berechnet hat, dass sie uns dazu verleiten, in Facebook zu bleiben. Die Dokumentation ist erschreckend. Aber gegen Ende verweisen die Macher auch auf eine Perspektive. Auf ein Besinnen auf ethisches Handeln auch im Business. Und sie fordern Nutzer auf, nicht einfach die vorgegebenen Inhalte zu akzeptieren, sondern aktiv nach den gewünschten Themen zu suchen. Aktiv zu sein, Inhalte zu vergleichen, abzuwägen und den gesunden Menschenverstand zu benutzen.
Das Thema ist für mich unter anderem deshalb so spannend, weil ich mich immer noch auf der Suche befinde um folgende Frage zu beantworten: "Was will ich denn als Journalistin eigentlich für wen schreiben?" Und je mehr ich mich mit Journalismus und den Aufgabenfeldern beschäftige, desto tiefer steige ich auch in das Thema Fake-News und Social-Media-Dilemma ein. Und finde derzeit mehr Fragen als Antworten.
Das Thema Ethik sollte für Journalisten eine Selbstverständlichkeit sein. Noch bevor ich überhaupt eine erste Überschrift, eine erste Nachricht oder gar ein Feature schreiben durfte, musste ich über Ethik und Wahrheitsverpflichtung und Objektivität lernen. Eigene Meinung und persönliche Perspektive ist als Journalistin ausschließlich in Kommentaren und Kolumnen erlaubt. Die Recherche das A und O der journalistischen Tätigkeit. Tageszeitungen sind dazu über gegangen, Themen jenseits der Lokalredaktion von Nachrichtenagenturen wie der obergenannten Agentur RND zu übernehmen. Daher kommt es vor, dass Sie den gleichen Wortlaut in bis zu 40 Tageszeitungen zu einem Thema lesen können. Fake-News entstehen in der Regel also nicht durch gut recherchierende Nachrichtenagenturen oder seriöse Journalisten. Allerdings kursieren im Internet und in den sozialen Medien viele Inhalte, die nicht journalistisch einzuordnen sind und die sich nicht an die journalistische Wahrheitsverpflichtung halten. Oft, weil sie sie überhaupt nicht kennen. Man spricht online dann auch nicht von Journalismus, sondern von Content (Inhalt) und Content-Writern. Und hier gibt es immense Unterschiede in der Qualität. Wie in einer vorherigen Kolumne bereits beschrieben, kann man eine Arbeit eben so oder so machen. Und ich rede hier nicht von SEO-optimierten Marketing-Texten, sondern von unseriösen Online-Seiten, die auf eine hohe Klickzahl angewiesen sind und sich bewusst an irreführenden Inhalten wie Texten, Schlagzeilen und Bildern bedienen. Damit Sie als Leser auf der Online-Seite bleiben. Letztendlich geht es immer nur darum, dass Sie Werbung sehen und letztendlich etwas kaufen. Sind also irreführende Inhalte bereits Fake-News? Wie entstehen Fake-News, wem nutzen sie und wie kann man ihnen auf die Schliche kommen?
Ich wende mich an Philosophie-Professor Dr. Georg Meggle.
"Gelogen wird schon seit dem Paradies".
Professor Meggle hält im Wintersemester 20/21 gemeinsam mit Alessandro Topa ein Webinar an der AUC (American University Cairo)
FAKE NEWS: A WEBINAR IN APPLIED EPISTEMOLOGY.
Und mit dem Beginn der Recherche in dieser Richtung wurde meine Verwirrung zunächst komplett. Was bitte ist "Epistemology"? Und stelle ganz philosophisch fest, dass ich bislang immer nur an der Oberfläche gekratzt habe mit meinen Recherchen. Ich frage Professor Meggle unter anderem, was seine Motivation für das Seminar sei und wie er Fake-News bewerte. Naiv zu glauben, ein Philosophie-Professor hätte eine kurze Antwort in zwei Sätzen parat. Stattdessen erhalte ich Literatur und eine ausführliche E-Mail. Auf meine Frage, wie er selbst denn Fake-News bewerte, erhalte ich unter anderem folgende Antwort:
"Nicht so schnell, liebe Monika. Dazu muss ich zuerst doch mal wissen, was FNs sein sollen - was man korrekterweise unter solchen versteht. Die mir bisher hilfreichste Antwort darauf gibt die mir persönlich bekannte Berlinerin Romy Jaster in ihrem mit David Lanius zusammen geschriebenen Reclam-Bändchen "Die Wahrheit schafft sich ab. Wie Fake News Politik machen" (2019), in der CHECKLISTE, dort auf S. 32:
Fake News: Die Checkliste
(A) Mangel an Wahrheit
Die Meldung zeichnet ein unwahres Bild der Wirklichkeit, denn
( ) ... die Meldung ist falsch.
oder
( ) ... die Meldung ist irreführend.
(B) Mangel an Wahrhaftigkeit
Die Verbreiter nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, denn
( ) ... sie wollen täuschen.
oder
( ) ... ihnen ist die Wahrheit gleichgültig.
Diese beiden Autoren sind auch die, die in der nächsten webinar-Runde (03. Nov) dran sind."
Ich gebe mich geschlagen und erkenne, dass meine ursprüngliche Intention dieser Kolumne - ich erfinde eine Fake-Nachricht und zeige gemäß der Netflix-Dokumentation auf, wie wir manipuliert werden und gebe Tipps, Fake-News von echten Nachrichten zu unterscheiden - auf. Ich lese die Dokumente von Professor Meggle und will mich da einarbeiten. Ich verstehe bislang fast nichts. Ich schreibe seinen Kollegen, Alessandro Topa an und werde ihn bitten, mir Zugang zu dem Webinar zu gewähren und möchte meinen Philosophie-Fernlehrgang um dieses Webinar ergänzen. Ich stelle fest, dass meine eigene ausgedachte Fake-Nachricht völliger Unsinn ist. Nein, nicht nur inhaltlich. Sie hat keinerlei Nutzen. Ich verfolge mit diesem Blog keine wirtschaftlichen Interessen, und daher ist eigentlich auch völlig egal, wie viele Klicks ich für meine Kolumne bekomme. Ich freue mich, dass das Thema Philosophie so schön zum Thema Journalismus passt und erkenne nach und nach, dass das Thema Fake-News weit über die Sozialen Medien hinaus reicht. Nachdem ich die erste Sitzung des Webinars verpasst habe, muss ich jetzt nachlernen. Um möglichst vor dem dritten November zu wissen, was "Epistomology" ist.
Fortsetzung folgt!
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