Nikolai, nicht Nikolaus! Auch, wenn Vorweihnachtszeit ist.
Ich spreche von Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow, oder Rimsky-Korsakov, wie er englischsprachig geschrieben wird oder auch russisch, Никола́й Андре́евич Ри́мский-Ко́рсаков. Wir waren zum Fotoshooting auf dem Gelände der Oper Kairo und hatten eine Menge Spaß, und dabei entstand unter anderem ein Foto von mir mit einer Musiker-Skulptur. Ich erfuhr später von meinem Posaunen-kollegen, dass es sich dabei um Nikolai Rimski-Korsakow handelt. Nachdem es Kommentare gab wie "ein Guter" oder "da hast Du Dir aber den Richtigen ausgesucht", wurde ich neugierig und ging an, meinen neuen "Freund" kennenzulernen.
Rimsky-Korsakov wurde am 18. März 1844 in Tichwin, Nowgorod geboren und wurde 64 Jahre alt. Er starb am 21. Juni 1908 bei St. Petersburg. Er gehörte zu der "Gruppe der Fünf" der russischen Komponisten, dazu zählten zudem Modest Mussorgsky, Cesar Cui, Alexander Borodin und Mili Balakirew. Diese Gruppe war eine Art Komponisten-Bündnis. Während sich andere russische Komponisten wie Tschaikowski oder Rubinstein musikalisch westlich orientierten, wollte die "Gruppe der Fünf" das Russische in der Musik bewahren. Basierend auf traditioneller Volksmusik und Kirchenmusik entwickelte sich die sogenannte russische Kunstmusik. Bemerkenswert hierbei die vielfältigen Rhythmen und Taktarten. Rimski-Korsakow machte sich nicht nur einen Namen als Komponist, sondern auch als Lehrer. Er unterrichtete als Professor am Konservatorium in St. Petersburg und brachte ein Lehrwerk über Orchestrierung heraus. 1922 wurde dieses erstmals ins Deutsche übersetzt. Prof. Dr. phil. Gesine Schröder, Professorin für Komposition und Tonsatz an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, schrieb einen Vortrag über Rimski-Korsakows Lehrwerk. Spannend dabei die Betrachtung in der musikalischen Weiterentwicklung. Sie vergleicht die Orchestrierungsanleitungen Rimski-Korsakows mit den Kompositionen der 30er Jahre. Unter anderem sagt sie in "Raffiniert... oder lieber roh":
"Den tiefen klangtechnischen Einsichten Rimsky-Korsakows und dem Raffinement des russischen Orchestrators konnten und wollten sich die Musiker dennoch nicht entziehen. Im Konflikt zwischen der Faszination durch seine Schrift und der neuen Klangmode zeichneten sich alsbald mehrere Lösungen ab. Besonders eine war erfolgreich: Rimsky-Korsakows ausdrückliche Empfehlungen ließen sich gegen den Strich bürsten oder auch allzu wörtlich nehmen; genau das verbürgte in den Dreißiger Jahren Expressivität."
Musikalisch ist Rimski-Korsakow ein Romantiker, viele seiner Werke werden der Programmmusik zugeschrieben. Das bedeutet, die Musik beschreibt konkrete Bilder oder Begebenheiten. Besonders bekannt von Rimski-Korsakow sind der Hummelflug und die Scheherazade. Scheherazade ist die Geschichtenerzählerin aus 1001 Nacht, und mit der gleichnamigen Orchestersuite beschreibt Rimski-Korsakow in vier Sätzen vier Geschichten:
Das Meer und Sindbads Schiff
Die Geschichte vom Prinzen Kalender
Der junge Prinz und die junge Prinzessin
Feier in Bagdad. Das Meer. Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter
Mit gefällt hier besonders gut die Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen 2005 mit Valery Gergiev am Dirigentenpult. Wohl auch deshalb, weil ich selbst Orchester und Dirigent auf den Salzburger Festspielen 2000 erleben durfte, damals mit "The Firebird" von Stravinsky. [Übrigens ein Tipp für nervige Werbung in YouTube: Einmal den Cursor bis zum Ende ziehen und die letzte Minute abspielen lassen. Dann "denkt" YouTube, man habe die gesamte Werbung bereits gesehen und kann in Ruhe ohne Werbeunterbrechung von vorne das Konzert genießen. Alles andere wäre eine Schande. Da wird mit fremdem Content Millionen von Klicks und Einnahmen über Werbung erzielt. Das Original von ZDF oder ZDF-Theater ist aber leider nicht zu finden.]
Zu meiner großen Freude stelle ich fest, dass nicht nur die Scheherazade mit großartigen Posaunen beginnt, sondern dass Rimski-Korsakow auch ein Posaunenkonzert geschrieben hat. Freundlicherweise in B-Dur. Ich suche nach Ton- und Videoaufnahmen und höre in verschiedene hinein und wundere mich. Entweder wird der Solist von Klavier begleitet oder aber von einem Blasorchester. Zunächst denke ich, die Blasorchester-Begleitungen wären Arrangements. Stelle dann aber fest, dass Rimski-Korsakow das Konzert tatsächlich für Posaune und Military-Band komponiert hat. Die Männer aus Rimski-Korsakows Familie standen alle im Militärdienst und Nikolai selbst war auch auf einer Kadettenschule. Ende des 18. Jahrhunderts entstanden die ersten Werke für Military-Bands, die die zukünftigen Blasorchester entscheidend beeinflussten. Sinfonische Blasmusik meint heute vorrangig klassische Arrangements, Filmmusik, Märsche und Polkas sowie für sinfonische Blasorchester komponierte Werke, meistens Programmmusik.
Selbstverständlich will ich das Posaunenkonzert auch spielen und schaue mir die Noten an. Ich finde diejenigen Elemente wieder, die ich Rimski-Korsakow und der russischen Musik zuschreiben kann. Der erste Satz ist ganz gefällig. Beim Üben muss ich das Allegro-Vivace ja noch nicht so ernst nehmen. Die Auftakt-Triolen bringen beispielsweise die genannte rhythmische Abwechslung in das Stück. Beim zweiten Satz werde ich stutzig. Zum einen sind im zweiten und dritten Satz Kadenzen verzeichnet, die zwar optional sind, aber eigentlich dazu gehören. Da macht das Tonspektrum schon einen Spagat und ich muss erstmal die vielen Hilfslinien abzählen, sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe.
Der 6/8-Takt kommt nicht so unverhofft, wie die Tonart. Im ersten Satz finden sich zahlreiche Viertel-Achtel Kombinationen. Würde man die notierte Achtelpause dazwischen weglassen, wäre man bereits im 6/8-Takt. Aber wie um alles in der Welt kommt Rimski-Korsakow auf Ges-Dur mit 6 b-Vorzeichen? Ich finde keine Erklärung. Die Mollparallele zu B-Dur wäre g-Moll. Aber Ges-Dur? Zu spielen ist es ganz gut. Alle sogenannten B-Tonarten, also diejenigen, die b-Vorzeichen beinhalten, liegen auf dem Posaunenzug spielbar beieinander. Das liegt daran, dass die Naturtöne auch zu den B-Tonarten gehören. Möchte man Kreuz-Tonarten auf der Posaune spielen, so sind die notwendigen Zugbewegungen bereits ab zwei #-Vorzeichen (Kreuz, nicht Hashtag!) so weit auseinander, dass das Posaunespielen oft mehr Fitness als Musizieren ist. Der zweite Satz geht direkt ohne Pause über in den dritten Satz. Einem Zweivierteltakt mit Marschcharakter. Da kommt dann die militärische Komponente ins Spiel. An die Kadenzen habe ich mich noch nicht herangewagt. Berühmt ist die Kadenz im dritten Satz, interpretiert von Christian Lindberg.
Dabei singt und spielt er gleichzeitig. Eine Technik, die ich aus dem von mir konzipierten Konzert, "Godsend Music - Gospel meets Brass and Concert Band" Oktober 2008, Lukaskirche München, her kenne. Ueli Kipfer, unser damaliger Solist, spielte mit dem Euphonium ein zweistimmiges Stück von der Empore herab. Sehr beeindruckend und berührend. Dass das auf der Posaune auch geht, wusste ich nicht und können kann ich es gleich gar nicht. Es gibt davon eine fantastische Aufnahme mit meinem Lieblingsblasorchester, dem Tokyo-Kosei-Wind-Orchester und Christian Lindberg als Solist, sowohl auf iTunes als auch auf YouTube. Allerdings gefällt mir das Zweistimmige in der Kadenz ehrlich gesagt nicht, auch, wenn es eine schwere Technik ist. Ich vermisse den klaren strahlenden majestätischen Klang der Posaune. Christian Lindberg hat übrigens eine Version für Posaune und Sinfonieorchester arrangiert.
Nachdem ich selbst 25 Jahre in sinfonischen Blasorchestern gespielt habe, Posaune spiele und Musik mag, in der "was los ist", passt das Foto von Nikolai Rimski-Korsakow also nicht nur optisch. Da habe ich mir wohl den richtigen neuen "Freund" ausgesucht. Zumindest musikalisch. Denn mal abgesehen davon, dass ich ein bisschen zu jung bin, war Nikolai Rimski-Korsakow nämlich mit Nadeshda Nikolajewna Rimskaja-Korsakowa verheiratet, einer Pianistin, Komponistin, Arrangeurin und Herausgeberin. Das klingt nach einer selbständigen und talentierten Frau. Und dann passt es ja wieder.
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