top of page
  • Autorenbild@Nika

Der Mittlere Osten trifft auf nahende Unwetter

Bands aus Ägypten und dem Libanon auf dem Wacken Open Air 2019 - Rain or Shine

„Hier spricht die Veranstaltungsleitung. Aufgrund einer Unwetterwarnung ist es nicht sicher, in den Zelten zu bleiben. Begeben Sie sich in Ihr Fahrzeug und nehmen Sie jemanden auf, der kein Fahrzeug hat“. So, oder so ähnlich tönt es aus den Lautsprechern. Vorsichtig reibe ich mir die Augen und schaue auf das Handy. 3:56h. Wie bitte? Ich öffne vorsichtig den oberen Reißverschluss vom Zelt und blinzele verschlafen nach draußen. Es gießt in Strömen. Gerade, als ich meinen Kopf nach oben strecke um festzustellen, ob ich die Einzige bin, die so eine Ansage verstanden hat und ob irgendjemand sich in sein Auto setzt, bricht das Partyzelt, das eigentlich als Regenschutz gedacht war, von der Wasserlast über mir zusammen. Mein Wurfzelt ergibt sich dem Wasserschwall, um dann mit einem einzigen Ruck wieder hochzuschnellen und sich in die ursprüngliche Form zu begeben. Alles ist nass. Ich schleife mein Zelt neben Michel, unseren Schlagzeuger. Wir sind auf dem VIP Campground in Wacken. Michel schnarcht, es wird gelacht. Viele Sprachen. Gegenüber die Kanadier, rechts von uns die Rumänen, die in 2014 einen Preis im Metal Battle ergattern konnten und dieses Jahr auf dem Wacken Festival auftreten werden. Ich traue meinen Ohren nicht. Aus einer Campingecke hört man bekannte Metal Songs und dazu – ja tatsächlich – mehrere Blockflöten. Der Regen schadet der Stimmung nicht, und kurz nach fünf ist die Unwetterwarnung vorüber. Omar Assem – Bassist, Mohamed Salama – Leadgitarrist, Ehab Sami – Gitarrist und eben Michel Khater – Schlagzeug, begeben sich gegen halb sechs Uhr morgens in Richtung Festival. Sanitäter suchen für Kopfschmerztabletten. Die Vier sind die Band Veritatem Solam aus Kairo, die den Wacken Metal Battle Egypt 2019 am 31. März gewonnen hatten. Mit ihnen traten Wujood (Kairo), Mythos (Alexandria) und Odius (Alexandria) im Jazzclub 610 gegeneinander an. Während sich die Jury berat, wen sie auf das Wacken Festival in das Finale schicken möchten, um gegen Konkurrenten aus 29 weiteren Nationen und Regionen anzutreten, hatte die schwedische Band Chugger ihren ersten Auftritt in Ägypten. Chugger gewann im Jahr 2018 in Wacken im Finale des Nachwuchsbandwettbewerbes „Metal Battle“ den fünften Preis und begeisterte mit ihrem Groove Death Metal, aber auch ihrer mitreißenden Bühnenshow das Publikum.

📷 Am Mittwoch, an dem das offizielle Festival noch gar nicht begonnen hat und lediglich die kleinen Bühnen bespielt werden und das Metal Battle Finale startet, warte ich gegen Mittag sehnsüchtig auf eine Nachricht. Ich sitze in der Artist Village, dem Backstage Bereich für die Metal Battle Lounge sowie für alle Bands der Headbanger und Wet Stage. Thorsten Sträter trifft man hier nach seinem Auftritt genauso wie die tunesische Band Myrath oder den Wacken Festival Chef, Thomas Jensen, der höchstpersönlich am Grill steht. „We arrived“ blinkt der erlösende Text auf dem Handy, und ich freue mich wie ein kleines Kind auf Lilas Mayassi, Maya Khairallah, Alma Dumiani und Sheryline Beshara. Gemeinsam mit der Schlagzeugerin Tatyana Bughaba sind das die Musikerinnen der Band „Slave to Sirens“, der ersten rein weiblichen Metal Band aus Beirut, Libanon. Im Jahr 2018 waren sie unter anderem beim Metal Battle im Libanon mit dabei. Jetzt stehen sie kurz vor ihrem Auftritt in Wacken auf der Wasteland Stage. Bei der Artist Hospitality erfahre ich deren Backstage Raum und verirre mich ein wenig in dem Zelt mit dem Fußballkicker und den numerierten Kabinen, die mich an Freibad Umkleiden erinnern. Endlich stolpere ich mehr oder weniger in den kleinen Raum, der voll ist mit Instrumenten, Outfit und Schminkzeug. Etwas aufgeregt findet die Begrüßung statt und das Gefühl, sowohl die Ägypter als auch die Libanesinnen in Wacken zu treffen, ist überwältigend.

📷 Nüchterner läuft das für Mark, den Stagemanager ab. Er ist freundlich, souverän und routiniert. Ein bisschen Smalltalk. Die Band hingegen verbringt die Wartezeit bis zum Soundcheck mit nervösem Nippen am Bier oder Wasser, Instagram und Facebook, bis jemandem auffällt, dass das Backdrop fehlt. Ich dokumentiere für eine arabische Metal Medienseite und frage, ob und wie das Backdrop aufgehängt werden kann. „Ich bin hier nur der Backliner“ bekomme ich zur Antwort und ich muss schmunzeln. Hier hat jeder seine Aufgabe. Die ägyptische Flexibilität fehlt. Die zarte Lilas, die Bandgründerin, mit ihren fröhlich braunen Locken sorgt bereits beim Soundcheck für Aufsehen vor der Bühne, denn die Töne ihrer E-Gitarre sind alles andere als zart. Zwischen Soundcheck und Auftritt reden wir ein bisschen. Wir kennen uns kaum. Die Mädels erzählen von ihrem Auftritt in Hamburg als Warm up für Wacken am Samstag vor dem Festival im Kaiserkeller. „Awesome“ sei das gewesen und sie strahlen dabei. Und Hamburg und Deutschland sei so schön und so schön grün. Im Volkspark seien sie gewesen und zeigen die InstaFotos. 📷

Slave to Sirens begeistert mit ihrem Auftritt die Wacken Fans, und wieder zurück in der Artist Village holt uns die Realität wieder ein. Lilas unterbricht aufgeregt mein Gespräch mit Sascha Jahn. Sie hält mir ihr Facebook unter die Nase und erzählt, dass es Ärger zu einem Musikfestival im Libanon gibt. Die Band Mashruh Leila solle dort auftreten, doch die sei bekannt zu ihrer liberalen Einstellung zur homosexuellen Bewegung. Daher habe man dem Veranstalter des Festivals mit Unruhe und Ärger gedroht. Etwas später stellt sich dann heraus, dass dieses bei der Band „Within Temptation“ ein Gefühl der Unsicherheit und Unbehagen hervorruft, so dass sie den Auftritt im Libanon absagen. Schade und bittere Realität für Slave to Sirens, denn die Ladies wären als Supportband für Within Temptation aufgetreten. Sascha nickt, als Lilas von Beirut erzählt. Sascha Jahn ist weltweit verantwortlich für den Metal Battle, und bei vierzig teilnehmenden Ländern bekommt er politische Situation aus aller Welt oft hautnah mit. Mittwochmorgen leitete er das Jury – und Promotermeeting. Dort trafen sich die Promoter, also die weltweiten verantwortlichen Organisatoren, und die Jury Mitglieder des diesjährigen Finales für den weltweiten Bandwettbewerb. Man traf sich in der Metal Battle Lounge und es gab ein großes Hallo. Über das Jahr ist jeder Promoter vor Ort auf sich selbst gestellt. Wacken mit Sascha Jahn als Supervisor unterstützt und schaut, dass trotz politischer und gesellschaftlicher Vielfalt die Regeln überall eingehalten werden und der Wettbewerb unter gleichen Bedingungen – mehr oder weniger - stattfinden kann. Während man über Facebook und email in Kontakt bleibt und sich austauscht, trifft man sich dann in Wacken persönlich. Die alten Hasen, wie beispielweise Kaspar Molin, der seit achtzehn Jahren in Wacken arbeitet und den Metal Battle in Dänemark leitet, kennen sich seit langem. Der erste Metal Battle fand 2004 statt. Aber auch junge Länder wie die aus Middle East finden sich schnell in der Promoter Familie ein, sind herzlich willkommen und bereichernd für die Vielfalt des Bandwettbewerbs. In diesem Jahr bringt – anders als zuvor – jedes Land zwei Jury Mitglieder ein. Daher wiederholt Sascha noch einmal die Regeln des Finale. Jede Band spielt 30 Minuten auf der History Stage. Zuvor gibt es - ebenfalls 30 Minuten - Changeover, also die Bandvorbereitung auf der Bühne mit Soundcheck. Das ist neu in diesem Jahr. Dieses Jahr, zum 30-jährigen Jubiläum von Wacken, findet der Metal Battle auf der History Stage statt. Das ist diejenige Bühne, auf der vor 30 Jahren das Festival zum ersten Mal stattfand. Bislang spielte sich der Metal Battle immer auf der Headbanger und Wet Stage ab, jede Band zwanzig Minuten Performance und Linecheck 5 Minuten mit 20 Minuten Vorbereitungszeit während die Vorgängerband auf der Nachbarbühne auftrat. Zum Jubiläum nun also die Erweiterung der Spielzeit und die Konzentration auf eine Bühne. Der Wettbewerb verlängerte sich dadurch von zwei auf drei Tage. Jedes Land wertet die besten fünf Bands. Die erste Band bekommt 5, die zweite 4 Punkte etc.. Freitag nach den Auftritten aller Bands aus allen dreißig teilnehmenden Ländern wird es ernst. Die Jury pro Land darf keinen Auftritt verpassen und muss sich auf die besten fünf Bands einigen, für das eigene Land darf nicht abgestimmt werden. Die Bewertung wird geheim und schriftlich abgegeben, denn trotz großer Promoterfamilie gab es immer einen, der seinen Mund dann doch nicht halten konnte und irgendwie das Ergebnis durchsickerte. Dabei wird das erst am Samstag auf der Pressekonferenz bekannt gegeben. Gewertet wird von 0 Punkten – das war ja wohl gar nichts – bis hin zu 10 Punkten, was so viel bedeutet wie: großes Potential, würde ich einen Plattenvertrag geben, würde ich Tickets für kaufen, würde ich CDs von kaufen und T-Shirts mit Bandlogo tragen. Wacken ist eben nicht nur Unterhaltung, sondern auch Musik Business und für die Gewinner des Metal Battle ein großes Potential auf dem Musikmarkt. Dementsprechend nervös sind dann auch Veritatem Solam am Donnerstag. Für 18.00h steht ihr Auftritt an. Immanuel Sulzer tauscht ab halb vier nachmittags seine Rolle als Jurymitglied für Ägypten in die des Tourmanagers. Bereits im Vorfeld hat er mit der Artist Production den Ablauf für den Auftritt der ägyptischen Band sowie deren Transport organisiert. So werden alle Instrumente und Equipment und alle Bandmitglieder in den Artist Shuttle verfrachtet und in die Artist Village gefahren. Dort bezieht die Band ihr Backstage Zelt, um sich auf den Auftritt vorzubereiten. Die Gitarrensaiten werden überprüft und gestimmt, das Outfit gecheckt, Interview mit der Lokalzeitung gegeben und für die Fans zuhause ein kurzes Video gedreht. Man sei aufgeregt aber gut vorbereitet und würde alles geben, um Ägypten würdig zu vertreten und die Bühne zu rocken.

📷

Ich trinke vor lauter Aufregung ein für die Band kühl gestelltes Bier. Die Arbeit eines ganzen Jahres mit dem lokalen Metal Battle in Kairo, dann aber auch die Vorbereitung für den Auftritt in Wacken mit Visa, Organisation, Coaching und etlichen Proben findet nun ihren Höhepunkt mit dem Auftritt der ägyptischen Band. Bis wir uns zum Stage Set up und Soundcheck hinter der Bühne einfinden, gehe ich nervös hin und her, organisiere den Interviewtermin, spreche mit Sascha, drehe das Fan Video, vor allem aber warte ich. Dass es jetzt endlich los geht. Schlagzeug aufbauen, Roll ups mit Bandlogo aufstellen, Soundcheck für Gitarren, Bass und Vocals. Und dann beginnt der Moderator auch schon mit der Ankündigung der ägyptischen Band. Hinter dem Vorhang sind alle nervös. Fans, die den Live Stream zuhause mitverfolgen und quasi hautnah mitfiebern, sprechen von Gänsehaut. Dann endlich ist es soweit. Viel Bühnennebel und fünf Metalsongs, die das Publikum restlos begeistern. Sie verlangen nach einer Zugabe und machen die sichtlich erleichterte Band damit sehr glücklich. Zugabe gibt es natürlich keine, das wäre gegen die Regeln, aber Immanuel schießt noch ein Bühnenfoto mit Publikum im Hintergrund. Und dann ist alles vorbei. Omar versucht, bei mir und einigen Promotern Feedback zu bekommen, doch damit muss er bis Samstag zur Pressekonferenz warten. Freitag erlöse ich dann Immanuel und bin dran mit Juryarbeit. Zwischendurch bleibt immer noch mal Zeit, um auf dem Infield vor den großen Hauptbühnen ein bißchen Festivalstimmung und Auftritte der Headlinerbands mit zu bekommen.

📷

Müde komme ich von Eluveitie zur Artist Village zurück und will mich noch ein paar Minuten hinsetzen, bevor es zur nächsten Wettbewerbsband ins History Zelt geht. „Hier spricht die Veranstaltungsleitung“. Ach nein, nicht schon wieder. Ok, es ziehen sehr dunkle Wolken auf. Das komplette Festival wird aufgrund erneuter Unwetterwarnung unterbrochen. Sehr rigoros gibt es auch in der Artist Village klare Ansagen. Wer ohne Fahrzeug vor Ort ist, kann in der Dorfschule das Unwetter abwarten, alle anderen begeben sich zum Campingplatz. Wir entscheiden, dass Wohnwagen auch ein Fahrzeug ist und rauchen mit den Luxemburger Kollegen eine Shisha unter dem Vorzelt bis die Erlösung kommt. „Hier spricht die Veranstaltungsleitung“. Das Unwetter ist vorüber, aber der Metal Battle hat gut zwei Stunden Zeit verloren. Nach hintenraus verlängern geht nicht, und so herrscht ein ungewisses Durcheinander in der Lounge, wie es denn nun weiter geht. Sascha klärt souverän die Lage und gibt Anweisungen: Die Performance der letzten vier Bands wird auf zwanzig Minuten verkürzt, das Changeover auf zehn Minuten. „In der Artistproduction möchte ich jetzt auch nicht sein“ meint er dann noch ein wenig verschmitzt. Denn deren lang vorbereiteter Zeitplan für Abholung von Bands und Equipment, Bühnenvorbereitung, Soundchecks ist jetzt komplett durcheinander geraten. Und das nicht nur für die kleinen Metal Battle Bands, sondern auch für die Auftritte auf den Hauptbühnen. Aber Wacken wäre nicht Wacken; und so ist Freitag um 18.00h der Metal Battle 2019 offiziell vorbei. Bis zur Pressekonferenz am Samstag um zwei bleibt dann ein wenig Zeit, das Festival zu genießen. Aufgeregte Stimmung im übervollen Pressezelt. Alle Bands, alle Promoter und Jurymitglieder sind gespannt. Aber anstatt, dass es endlich los geht, macht Sascha Jahn mit Gunnar Sauermann aus der Presseabteilung sein übliches Spielchen. „Gunnar, ich habe leider die Liste mit den Ergebnissen im Büro vergessen. Vielleicht kann meine Assistentin Doro schnell rüberlaufen und die holen?“. Jedes Jahr das gleiche und wir hassen ihn dafür. Denn während Doro angeblich auf dem Weg ins Büro ist, wird sich bei Sponsoren und Partnern bedankt, bei der Wacken Foundation und Thomas Jensen, Festivalveranstalter, spricht über die Bedeutung des Metal Battle. Bis Sascha dann irgendwann einfällt, dass er den Zettel mit den Ergebnissen die ganze Zeit in der Hosentasche hatte. Lustig. Die Spannung steigt wenn vom fünften bis zum ersten Platz die Gewinnerbands bekannt gegeben werden. Es winken Geldpreise, Equipment, Performance Footage, Interviews und internationale Aufmerksamkeit. Platz Nummer fünf: Polen. Nummer vier: Ukraine. Nummer drei: Spanien und meine Kollegin Emma tanzt wild durch das Pressezelt. Jetzt weiß ich schon sehr realistisch, dass Ägypten dieses Jahr leer ausgehen wird. Und tatsächlich – die Ungarn haben den zweiten Platz und mit der Band Varang Nord aus Litauen hat der Metal Battle dann einen glücklichen Gewinner 2019.

„Monika welchen Platz haben wir?“ ist dann auch die erste enttäuschte Frage der Bandmitglieder von Veritatem. Doch das Ergebnis haben wir Promoter selbst noch nicht. Im Promotermeeting am Samstag gegen Abend in der Dorfschule erfahren wir, dass Sascha die Ergebnisliste am Montag versenden will. Wir geben Feedback, besprechen die Neuerungen und planen für 2020. Middle East wird in 2020 freiwillig pausieren und den Metal Battle in 2021 dann in der Region fortsetzen. Bevor es Zeit wird für die Heimfahrt, treffe ich beim Abendessen noch Zaher Zorgati, den Sänger der tunesischen Band Myrath. Es ist ihr erster Auftritt in Wacken und sei erfüllen mit ihrer Show aus 1001 Nacht alle Erwartungen des Orient Klischees. Eine märchenhafte Show mit orientalisch geprägten Metal Klängen. Anis Jouini, Myrath' Bassist ist mit der Show in Wacken ganz zufrieden. „Aber das nächste Mal bräuchten wir eine größere Bühne“, meint er. Ich treffe ein letztes Mal meine Freunde und Alma von Slave to Sirens und schlendere danach ein bißchen wehmütig zum Campground. Ich packe die letzten Sachen ein und fahre Richtung Kiel. Wohl wissen, dass Wacken für die nächsten 360 Tage nichts weiter sein wird als eine Wiese voller Sehnsüchte und Erinnerungen. Bis es in 2020 dann wieder heißen wird „Rain or Shine“.

bottom of page