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Autorenbild@Nika

Medien und Wissenschaft in turbulenten Zeiten

Veranstaltung im Goethe-Institut Kairo am 18. und 19. September 2021


Ich halte ein gerade eine Anleitung in der Hand mit dem Titel „Handbuch für Wissenschaftsjournalismus“, das ich am letzten Wochenende auf einer Veranstaltung beim Goethe-Institut in Kairo erhielt. In diesem Manual findet sich Grundlagen für journalistisches Arbeiten. Welche Art von Artikeln es gibt, wie recherchiert und zitiert wird und ähnliches. Grundlagen, die ich zumindest in meiner Journalistenausbildung gelernt habe, was aber nicht selbstverständlich ist, wie ich am letzten Wochenende erfahren konnte.

Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Media and Science in Turbulent Times“ - Medien und Wissenschaften in turbulenten Zeiten. Es war eine hybride Veranstaltung, also zum Teil online und zum Teil vor Ort im Goethe-Institut in Kairo. Ich hatte das Glück, an beiden Tagen je eine beziehungsweise zwei Veranstaltungen vor Ort besuchen zu können und so ein bisschen Normalität mit echten Menschen im Berufsleben zu erfahren.

Die Momente, die ich aus den Veranstaltungen für mich mitgenommen habe, sind Inhalt der heutigen Kolumne.


Am 18. September ging es für mich los mit dem Thema „Journalism, Media and Misinformation during the Covid-19 Pandemic“ - Journalismus, Medien und Misinformationen während der Corona-Pandemie


Moderiert wurde diese Veranstaltung von Dr. Hanan Badr von der Freien Universität in Berlin. Als Referenten waren Prof. Dr. Ingrid Volkmer von der Universität Melbourne (Australien), Mona Yassin von der WHO (Ägypten), Dr. Nouha Belaid, Journalistin aus Tunesien und Zeinab Ghosn vom Roten Kreuz (Ägypten und Libanon) eingeladen. Die Veranstaltung lief so ab, dass jeder Referent seine Präsentation zu dem Thema vorstellte und anschließend sowohl online als auch schriftlich aus dem Saal Fragen an die Referenten gestellt werden konnten. Dr. Volkmer war online vertreten, die anderen Referenten auf dem Podium vor Ort in Kairo. Auf das Thema war ich sehr gespannt.


Die Corona-Pandemie hat zwangsläufig auch den Journalismus verändert


Nicht nur, dass häufig im Home-Office gearbeitet wurde, auch inhaltlich. Medizinische Themen sind eigentlich Themen, die vom Wissenschafts-Journalismus bislang bedient wurden. Mit Beginn der Corona-Pandemie musste sich jeder Journalist, sowohl Lokalredakteure als auch politische Korrespondenten als auch Verbraucherjournalisten und Kolumnisten mit dem Thema auseinandersetzen. Es wurde von einem Tag auf den anderen eine Fachkompetenz von allen Journalisten gefordert, die aber auf die Schnelle nicht machbar war. Umso wichtiger wurden die Quellen, auf die man sich bei der Recherche stützen konnte. Dennoch entstanden rund um das Thema Corona zahlreiche Misinformationen und zudem entstand Misstrauen gegenüber den Medien.


Prof. Dr. Volkmer präsentierte Ergebnisse aus einer weltweiten Studie mit 24 beteiligten Ländern, die gemeinsam mit der WHO durchgeführt wurde. Dank Internet, Sozialer Medien, klassischer Medien und Content-Anbietern wie Bloggern leben wir in einer Zeit, in der uns Informationen aus zahlreichen Quellen zur Verfügung stehen. Informationen werden aber nur von vertrauenswürdigen Quellen akzeptiert. Interessant war zu hören, dass religiöse Führer, Informationen aus sozialen Medien, Informationen über Messenger-Diensten und - je nach Region - auch Informationen der Regierung als nicht vertrauenswürdig empfunden werden. Sehr wohl hingegen aber Informationen direkt von der WHO, Informationen aus Zeitungen und von wissenschaftlichen Seiten und Magazinen, wenn es um das Thema Corona geht. Misstrauen und Skepsis sind dennoch weiterhin weit verbreitet.

Zum Thema Corona werden Informationen gelesen, wenn folgende Fragen mit ja beantwortet werden können

  • ist es ein wissenschaftlich?

  • betrifft es mich?

  • ist es wichtig?

  • ist es ein Artikel?

  • sind Videos oder Bilder enthalten?

  • gibt es eine Geschichte / Story dazu?

Wenn festgestellt wird, dass sich eine Information als sogenannte Fake-News entpuppt, dann liegen die Reaktionen zwischen besorgt und interessiert. Irgendwie scheinen Fake-News ja doch interessant zu sein.

Ich erinnere mich gerade, dass im Laufe der Konferenz ein Zitat genannt wurde: „Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.“ - Mark Twain (1835 - 1910). Die Aussage ist klar - wenn man Aufmerksamkeit möchte, ist man damit mit einer Lüge schneller im Rampenlicht, als mit der Wahrheit, die unter Umständen auch erst sorgsam erforscht und recherchiert werden muss.

Die Aktionen, die auf die Reaktion bei Fake-News folgen, teilen sich in den Sozialen Medien auf in

  • ich melde die Fake-News als solche

  • ich ignoriere sie

  • ich kommentiere sie

  • ich folge der Informationsquelle nicht länger

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch die Corona-Pandemie eine neue Herausforderung für den Journalismus entstanden ist und eventuell die Rolle des Wissenschafts-Journalismus neu überdacht werden muss.

Mona Yassin von der WHO bestätigte, dass es zum Thema Corona eine exzessive Informationsflut gibt, selbst, wenn es sich bei allen Informationen um korrekte Informationen handeln würde


Die ersten Informationen welche die WHO zur Corona-Pandemie herausgegeben hatte, waren Verhaltensregeln, die vor allem in Twitter, Instagram und Facebook verbreitet wurden neben den traditionellen Medien. Interessant war, dass Twitter als wichtiger erachtet wurde im Informationsranking als Facebook, obwohl Facebook wesentlich größer ist.

Fake News aus Sicht der WHO entstanden vor allem zum Thema Symptome und rund um das Thema Impfung. Vor allem liegt das Risiko darin, dass Informationen nicht richtig verstanden werden und dann falsch verstanden in den Sozialen Medien weitergetragen werden.


Mona Yassin hat hier drei Risikoebenen angeführt, wie gefährlich Misinformationen auch für die interne Sicherheit werden können. Wird beispielsweise herumerzählt, Corona wäre nicht schlimmer als eine Grippe, dann ist das weder richtig noch schön, für die innere Sicherheit aber wenig relevant. Wird aber fälschlicherweise erzählt, die Regierung wolle alle zwangsimpfen lassen, und wenn dann noch Diskussionen und Vermutungen entstehen, wie das denn wohl realisiert werden soll, dann ist diese Falschmeldung eine Nachricht mit einem besonders hohen Risiko. Zuverlässiger, verantwortlicher und unabhängiger Journalismus könne verhindern, dass es zu solchen riskanten Nachrichten käme, so schloss Mona Yassin ihre Ausführungen.


Dr. Nouha Belaid gab einen Überblick, wie sich der Journalismus in Tunesien in den letzten Jahren entwickelt hatte, auch in Zeiten des sogenannten Arabischen Frühlings und von Corona.


Eine Infektion mit Corona ist oft immer noch ein Stigma


Einen Aspekt, den ich selbst bislang zum Thema Corona-Pandemie völlig vernachlässigt hatte, brachte Zeinab Ghosn in die Veranstaltung ein. Das Rote Kreuz hat unter anderem die Aufgabe, die Zivilpersonen in Krisensituation zu beschützen. Auch sie konnte feststellen, dass unter den Stichwörtern „Covid19“ und „Corona“ zahlreiche Misinformationen verbreitet wurden. Das Rote Kreuz habe dann eigene Kommunikationswege genutzt, um korrekte Daten publizieren zu können. Zum einen führte sie an, dass das Rote Kreuz viel Erfahrung auch mit Toten hätte, von denen man nicht kommuniziert hätte, dass sie an Corona verstorben seien. Eine Infektion gelte in vielen Teilen der Bevölkerung immer noch als Stigma und würde daher verschwiegen. Sie betont, dass, wie in Europa, immer wieder Dialoge notwendig seien, um aufzuklären. Allerdings gab sie auch zu bedenken, dass nicht alle Menschen Zugang zu Informationen und erst recht nicht zu Impfungen hätten - sie erwähnt Syrien, Irak und den Jemen. Aber nicht nur in der arabischen Welt, überall auf der Welt gäbe es Menschen, die bei dem Thema Abstandsregeln und Hände waschen nur bitter lachen und den Kopf schütteln können. Menschen weltweit in Camps, in Flüchtlingslagern, in Gefängnissen. Sie forderte Journalisten auf, nicht nur über das zu schreiben was sie sähen, sondern auch über Situationen zu berichten, die nicht für jeden allgegenwärtig wären.


Da kann ich ihr nur recht geben


Ich frage mich aber gleichzeitig, wie wir hier in dieser Region - und ich meine tatsächlich Region und nicht Land - an solche Informationen kommen sollen.


Das Thema „Wie komme ich an Informationen“ beherrschte dann auch weitestgehend den zweiten Tag. Zuvor gab es aber als Abschluss dieser Veranstaltung noch die Fragerunde. Bei mir kam die Frage auf, wie man denn den Teil der Misinformationen handhaben wolle, die wir Journalisten nicht beeinflussen können. Das niedrige Bildungsniveau in Ägypten ist hinreichend bekannt und die Frage ist, wie viele Menschen lesen denn Zeitung oder schauen sich in Facebook die Information des Gesundheitsministeriums über Abstandsregeln an? Die Frage, die sich dahinter verbirgt, lautet ja auch, wie viele lesen denn wirklich in der Bevölkerung und wen erreiche ich wie? Fernsehen ist natürlich ein wichtiges Medium. Aber im Tagesgeschehen findet die Kommunikation hier Downtown in Kairo im Kiosk statt. Und ich stelle mir vor, dass es funktioniert wie die berühmte stille Post. Jemand kommt in den Kiosk und erzählt, was er von jemandem über das Impfen gehört hat dem Kioskbesitzer. Dieser erzählt es weiter an den nächsten, der in den Kiosk kommt und den er gut kennt. Möglicherweise hat der aber schon von anderer Seite wieder etwas anderes gehört. Dann wird heftig diskutiert zu dem Thema, von dem Beide eigentlich nichts oder nur wenig vom Hörensagen kennen, und dann wird es weiter und weiter erzählt und wird zu einer eigenen Wahrheit.


Dagegen haben wir Journalisten, glaube ich, einfach keine Chance

Am nächsten Tag stand das Thema „Wasser“ mit seinen Chancen und Herausforderungen für den Journalismus auf der Tagesordnung sowie "Wissenschaft und Inklusion". Für mich konnte der zweite Tag mit dem ersten in keinster Weise mithalten. Dabei hatte ich mir gerade zum Thema Wasser etliches versprochen, denn ich hatte im Rahmen meiner Journalistenausbildung zum Thema Wissenschaftsjournalismus mit der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) am Thema Nil und Wassermanagement in Ägypten gearbeitet.


Frau Dr. Tahani Sileet vom Ägyptischen Ministerium für Wasser Ressourcen und Bewässerung brachte spannende Zahlen zum Thema Wasser, Umwelt, Klima, Auswirkung auf die Wirtschaft sowie Verwendung und Wiederverwendung von Wasser in Ägypten mit. Das ist ein mehr als interessantes Thema für einen eigenen Artikel. Ägypten ist zum Beispiel das trockenste Land der Welt und zu 97 % in der Wasserversorgung vom Nil abhängig. Wasser wird in Ägypten drei Mal wiederverwertet. Nur 3,5 % des Landes sind kultiviert und über 60 % an Lebensmitteln müssen importiert werden. Es gibt, unter anderem auch durch die Überbevölkerung Ägyptens, mehr Nachfrage an Wasser, als derzeit vorhanden ist. Sie gab einen kurzen Überblick zum Thema Nil und die Herausforderungen durch die verschiedenen Staaten die am Nil partizipieren und gab Ausblick auf mögliche Projekte und Lösungen für die Zukunft.

Von rechts nach links: Dr. Tahani Sileet, Rehab Abdalmohsen, Dr. Khalid Eltigani

Eine Krise oder gar die Idee, einen eventuellen Konflikt zum Thema Wasser mit Waffen zu lösen, gäbe es nicht. Journalisten, so der Wunsch von Dr. Tahani, mögen positive Meldungen zum Thema Wasser in den Medien verbreiten, um mögliche Krisen dadurch abzuwenden.


Ich habe mich in dem Moment gefragt, ob das denn wirklich die Aufgabe der Journalisten sei. Als Dr. Dawood im Anschluss anfing, Journalisten zu belehren, dass die Journalisten dies tun und jenes tun müssten, wurde ich fast ein bisschen sauer. Ich kenne die Aufgaben in meinem Beruf und muss mir nicht vorhalten lassen, dass es in exemplarischen Berichterstattungen von Journalisten Fehler in Zahlen gegeben hätte, die zu Misinformationen geführt hätten.


Was nicht im Podium und in den Veranstaltungen diskutiert wurde, aber in den Gesprächen darum herum beim Kaffee oder Mittagessen immer wieder aufkam, waren nämlich zwei Fragen. Wie wird die Aufgabe des Journalismus zwischen Wissenschaft als Informationslieferant und Journalisten als Medien verstanden, und wie kann eine konstruktive Verbindung zwischen beiden erfolgen?


In der westlichen Welt wird Journalismus als vierte Gewalt verstanden


Das ist aber in anderen Teilen der Welt nicht so. Oft wird Journalismus als Marketingabteilung von Firmen und Regierung erwartet. Dass wir Journalisten eine Pressemeldung zwar als Impuls lesen, dann aber gerne noch mit weiteren Beteiligten sprechen möchten, andere Quellen hinzuziehen oder gar einen Kommentar dazu schreiben, ist oft nicht bekannt oder auch nicht gewollt. In vielen Ländern soll die Presse mit dazu beitragen, die Stabilität im Land durch entsprechende Nachrichten aufrecht zu halten und Unruhen zu vermeiden. Das ist aus Sicht dieser Länder sicherlich verständlich, und eventuell muss ich da als westliche Journalistin auch umdenken.


Dennoch bleibt es schwierig, an Informationen zu kommen, das bestätigen mir immer wieder Kolleginnen und Kollegen. Oft werden vorhandene Nachrichten in den Medien auch einfach nur weiterverwertet. Egyptianstreets beispielsweise publiziert häufig Artikel mit dem Hinweis „abgeschrieben aus Ahram Online“. Abgeschrieben sagen sie nicht, aber es ist de facto so.


Eine junge Kollegin auf der Veranstaltung erzählt mir beim Mittagessen, sie habe Dr. Tahani genau zu diesem Thema angesprochen, wie sie denn für das Nature Magazin, für das sie schreibe, an Informationen zum Thema Wasser in Ägypten kommen könne. Sie habe den Rat bekommen, sie solle doch die Presseabteilung anschreiben. Na, das sei ja mal eine ganz tolle Idee, darauf wäre sie ja selbst nie gekommen, hatte sie sich bei dieser Antwort gedacht. Geantwortet habe sie nur, dass ihr niemand geantwortet hätte, erzählt sie halb schmunzelnd. Die gleiche Erfahrung hatte ich auch im Rahmen meiner Recherche mit der GIZ. Ich saß in der Verwaltung des Wasser-Ministeriums einer Mitarbeiterin der GIZ gegenüber, stellte meine Fragen, die ich durchaus berechtigt und interessant fand, und bekam zu jeder zweiten Frage die Antwort, dazu würde sie nichts sagen.


Die Veranstaltung im Goethe-Institut mit allen Referenten und dazugehörigen Gesprächen hat wieder einmal sehr deutlich gemacht, dass ich hier in Kairo in einer ganz anderen Welt lebe. Unter anderem mit einer Business-Kultur, in der man zwar um Mitternacht noch geschäftlich angerufen wird, E-Mails in der Regel aber nicht beantwortet werden und man Informationen und Kontakten ewig hinterherlaufen muss. An Tagen wie diesen stellt sich mir persönlich auch immer wieder die Frage, ob und wie lange ich mich den Herausforderungen hier noch stellen möchte. Oder ob ich mir einen neuen Lebensmittelpunkt suche oder gar in eine Redaktion nach Deutschland wechsle, oder ob ich hier leben bleibe und mich auf den risikolosen Verbraucherjournalismus konzentriere und in Kairo das schöne Wetter genieße. Und wie immer lautet die Antwort in Kairo „hanshouf“ - wir werden sehen.


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