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Jeddah Calling: Wo die Reise hingeht

Kurz vor drei in der Früh geht der Wecker. Schnell duschen und ab zum Flughafen. Für drei Tage Richtung Jeddah am Roten Meer in Saudi Arabien. In Kairo das übliche Chaos mit Gedränge und langen Warteschlangen. Vor dem Gate dann das für Jeddah-Flüge übliche Bild: Frauen sind in weiße weite Kleider, Männer in weiße Handtücher gehüllt. Dieser sogenannte Ihram ist die vorgeschriebene Kleidung für die Pilgerreise nach Mekka. Er besteht für Männer aus zwei einfachen, nahtlosen weißen Tüchern. Das untere Tuch, Izar (إزار) genannt, wird um die Hüfte gewickelt, während das obere Tuch, Rida (رداء), über die Schultern gelegt wird. Diese Kleidung symbolisiert Reinheit, Demut und Gleichheit vor Gott. Die Handtücher der Männer sind im besten Fall mit Druckknöpfen ausgestattet, oft nur mit Sicherheitsnadeln. Nähte sind verboten. Wenn sich die Herren dann im Flugzeug recken, um ihr Handgepäck zu verstauen, sieht man als Frau manchmal Dinge, die besser verhüllt geblieben wären. Schön ist meistens anders. Es ist für mich aber nicht die erste Reise nach Jeddah, und so bleibe ich verhältnismäßig gelassen. Am Flughafen Jeddah geht es - vergleichbar wie in München - mit einem Schnellzug vom Terminal zur Ankunftshalle. Mein Visum ist für ein Jahr gültig, und ich komme schnell durch die Passkontrolle durch. Ich freue mich wie bei jeder Ankunft in Jeddah über das große runde Aquarium im Eingangsbereich. Dort werde ich dann auch sogleich abgeholt und es geht als erstes zur Deutschen Internationalen Schule Jeddah (DISJ). Anders, als beispielsweise in Ägypten, wird die Schule nicht von einheimischen Kindern besucht. Somit bietet die Schule zwar alle Klassen vom Kindergarten bis zum Abitur an, doch die Klassen sind klein. Für das Lernen ist das von Vorteil, für die finanzielle Situation der Schule oft problematisch. Der Vormittag an der DISJ stand unter dem Thema „Journalismus macht Schule" Workshop in der Musikschule Los ging es mit den Kleinen. Schülerzeitungsredakteure und Interessierte der Klassen drei bis sechs trafen sich im großen Physikraum zu einer Redaktionssitzung. Mit mir als Chefredakteurin. Da war ich ganz in meinem Element. Vor allem ging es darum, wie man denn Themen für eine Schülerzeitung findet. Blankes Entsetzen in den Kinderaugen, als ich fast jedes Thema für die nächste Ausgabe ablehnte. Doch dann kamen wir darauf zu sprechen, dass die Themen neu, aktuell und wichtig sein müssen und zudem mit der Schule zu tun haben sollten. Die zweite Themenrunde lief es dann besser, und nach zweieinhalb Stunden hatte die Schule einen Chefredakteur mit Stellvertreterin, einen Planer, zwei Verantwortliche für Werbung, eine Übersicht über die nächsten Ausgaben der Schülerzeitung sowie ein Hauptthema für das nächste Heft. Mit dem kleinen Chefredakteur bleibe ich in Kontakt und begleite das Team bis zur nächsten Ausgabe. Eine Herzensangelegenheit! Die Zeit mit den Älteren der Klassen acht bis zehn war mir fast zu kurz. Es ging um das Thema Recherche und Fake News. Da war das Material der Reporterfabrik ein guter Leitfaden. Was sind die Tricks und Kniffe beim Recherchieren, was gibt man in Google ein, wie viele Suchmaschinen sollte man benutzen und warum Wikipedia besser nicht? Spannend wurde es für mich, als es um die Themen der Schüler ging. Auf diese wäre ich gerne nicht nur am Rande eingegangen. Ein Mädchen wollte darüber schreiben, warum Mädchen in Saudi Arabien kaum Sport betreiben dürften. Bei meinen Recherchen, unter anderem bei Human Rights Watch, stellte sich heraus, dass Frauen und Mädchen in Saudi Arabien bis 2012 tatsächlich gar keinen Sport treiben konnten. Doch das Land ändert sich. Auch in punkto Sport für Mädchen und Frauen. Das wäre eine eigene Reportage wert. Ein Junge aus der 10. Klasse wollte sich mit dem Thema Hamas, dem Nahostkonflikt und der Rolle Saudi Arabiens beschäftigen. Ja, auch das wäre ein unglaublich spannendes Thema. Leider war die Zeit zu kurz. Nach einem schnellen Mittagessen ging es weiter zu einer Musikschule. Dort hielt ich den kurzen Workshop, der eigentlich für eine ganz andere Veranstaltung vorgesehen war. Am 31. Januar hätte eigentlich der Metal Battle, der Band-Nachwuchswettbewerb für das Wacken-Festival, in Jeddah stattfinden sollen. Der Veranstaltungsort hatte jedoch kurzfristig den Vertrag gekündigt, und so wurde der Workshop kurzerhand in eine Musikschule verlegt. Der Metal Battle ist wieder eine andere Geschichte. Das Einchecken im Hotel verlief problemlos, und nach einem Abendessen im Hotel ging ein sehr langer Tag zu Ende. Der nächste Tag war dem Thema Kultur gewidmet Im Innenhof des Tayebat-Museums Wir starteten im Tayebat Museum, dem Völkerkundemuseum über die reiche Geschichte und Kultur Saudi Arabiens sowie der islamischen Welt. Es besteht aus über 400 Ausstellungs-Räumen, von denen wir ob der Kürze der Zeit nur einen Bruchteil sehen konnten. Miniatur-Nachbauten sowie liebevoll eingerichtete Räume entführten uns in fremde Welten. Ich bekam eine Idee von der Gründung Saudi Arabiens, dem Leben im Süden des Landes oder in einem Beduinenzelt, bewunderte alten Schmuck und prunkvolle Kleider ebenso wie den Nachbau von Mekka oder des Bazars. Letztendlich musste ich feststellen, dass ich von diesem Land nur einen minimalen Bruchteil kenne und entschied, die Küste entlang des Roten Meeres unbedingt bereisen zu wollen. In den Norden zur Oase AlUla, die etwa 400 km nördlich von Jeddah an der Weihrauchstraße liegt und mit seinen Wüstenlandschaften und seiner Altstadt beeindrucken soll. Das noch weiter nördlich gelegene Tabuk ist nicht nur die Region für das Megaprojekt NEOM, sondern soll in seinen Bergregionen auch Austragungsort für Olympische Winterspiele werden. Ein Teil von Vision 2030. Vision 2030 ist Saudi-Arabiens langfristiger Entwicklungsplan zur Diversifizierung der Wirtschaft und Reduzierung der Abhängigkeit vom Ölsektor. Durch Investitionen in Tourismus, Technologie, erneuerbare Energien und Sport sowie gesellschaftliche Reformen soll das Königreich wirtschaftlich und sozial modernisiert werden. Im Süden Saudi-Arabiens wird es bergig und grün. Etwa zwei Autostunden südlich liegt Ta'if, die erste Anlaufstelle, wenn die Jeddawis in die Berge aufs Land fahren. Ta'if ist eine Stadt an den östlichen Hängen der Sarawat-Berge bekannt für ihr gemäßigtes Klima und ihre fruchtbare Landwirtschaft auf etwa 2.400 m Höhe. Die Region ist besonders berühmt für den Anbau von Zitrusfrüchten, Trauben, Granatäpfeln und Feigen sowie für ihre duftenden Rosen. Etwa fünf Autostunden weiter südlich erreicht man die Grenze zum Jemen. Über Dschaizan lernen wir, dass es wie Jeddah direkt am Roten Meer liegt mit grünen Bergen im Landesinneren. Dieses ist geschätzt ist für seine tropischen Früchte wie Bananen, Mangos oder Papayas. Auf der Internetseite von Visit Saudi heißt es über die Gegend: „Die UNESCO-gelisteten Farasan-Inseln beeindrucken mit ihrer einzigartigen Biosphäre, während historische Stätten bis 8000 v. Chr. zurückreichen. Zwischen modernen Entwicklungen und traditionellen Dörfern bewahrt die Region ihre authentische Kultur – sichtbar in der farbenfrohen Architektur, der duftenden Jasminkrone der Einheimischen und einer Küche, die mit frischen Zutaten und traditionellem Handwerk zu den besten Saudi-Arabiens zählt". Eine Reise entlang des Roten Meers wäre eine fantastische Reportage über das uns weitestgehend unbekannte Land Und dann hätte ich noch nichts über Mekka und Medina, die Hauptstadt Riyadh oder das Red Sea Project geschrieben. Die Inseln vor der westlichen Küste Saudi Arabiens sehen nämlich von oben aus wie die Malediven und sollen als Teil der Vision 2030 touristisch erschlossen werden. Memory of Becoming | Arcangelo Sassolino Nach der mentalen Reise durch die Region fahren wir zum Flughafen. Das derzeit nicht genutzte Hajj-Terminal ist Austragungsort der Biennale 2025 für Islamische Kunst. Dass Saudi Arabien Teil des Nahen Ostens ist, wird deutlich, als kurz vor dem Flughafen das dort aufgestellte Raketenabwehr-System auf einem Militärgelände deutlich zu erkennen ist. Es sei so gut wie der israelische Iron Dome, lerne ich. Von der Biennale bin ich mehr als begeistert. Ich liebe moderne Kunst und erfreue mich in vier Hallen an dem modernen Saudi Arabien und an internationalen Exponaten. Über QR-Codes stehen Audio-Guides und Erläuterungen zur Verfügung. Diese benötigen wir nicht, denn überall findet man freundliche Ausstellungsführer, die bereitwillig in hervorragendem Englisch über die Exponate Auskunft geben. Besonders beeindruckt hat mich eine runde an der Wand hängende und sich drehende Plattform. „Memory of Becoming" - so der Name - ist über und über mit Erdöl überzogen. Und wenn man genau hinsieht, kann man das Fließen der zähen Masse erkennen. Mit jeder Bewegung entstehen in dem tiefen Schwarz Lichtreflexe und abgesehen von einigen wenigen Tropfen, die einsam auf den Boden fallen, bleibt die Masse an der Plattform haften. Neben der Tatsache, dass Erdöl der Innbegriff für den Reichtum Saudi Arabiens ist, soll das Rad auch eine spirituelle Bedeutung haben. Alles kehrt wieder, nichts geht verloren, ein Sinnbild von Transformation. Und selbst in der tiefsten Dunkelheit findet sich ein Licht (der Hoffnung). Viele weitere Exponate hatten den Koran, die Kaaba in Mekka und islamisch-religiöse Motive zum Thema. Es gibt aber auch einen Saal der Wissenschaft und der Zahlen. Auf dem Weg zum Ausgang finden sich noch weitere Exponate, die vor allem auch von dem Wind, den Vögeln und der Natur mit getragen werden. Ein zunächst wild aussehender Haufen aus Bambusrohren entpuppte sich als interaktive Musikperformance. Im übergroßen Makramee flatterten zahllose Vögel umher, ein Klanggarten wollte mit neuer Musik überzeugen. Ein Besuch mit so vielen Eindrücken, der zum Wiederholen einlädt. Die Ausstellung ist nur mit Ticket zugänglich, dieses ist jedoch kostenfrei. Die Biennale läuft noch bis zum 25. Mai 2025 - und wenn ich das Glück habe, im Frühjahr nochmal nach Jeddah zu kommen, werde ich sicherlich wieder hingehen und mir einzelne Ausstellungsstücke dann im Detail anschauen und darüber recherchieren und schreiben. Ein Land lernt man nicht nur durch Reisen, sondern auch durch Begegnungen kennen So freute ich mich, bei einem Empfang im Deutschen Konsulat von Jeddah Mitglieder der deutschen Community zu treffen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es war spannend zu erfahren, welche Projekte unter deutscher Beteiligung in Saudi Arabien realisiert werden und wie Deutsche dieses Land empfinden, wenn sie dort leben. Die schnelle Entwicklung von Saudi Arabien miterleben zu dürfen, mit allen Vorteilen und all seinen Schattenseiten, sehen viele als spannende Erfahrung. Wie die Schattenseiten des Landes aussehen können, erzählte mir dann ein saudischer Bekannter am nächsten Tag beim gemeinsamen Kaffee an der Corniche. Aufgrund eines Vorfalls, den ich hier nicht näher erläutern möchte, musste er vor Gericht und wurde verurteilt. Seine Strafe beinhaltet nicht nur zwei Jahre Reiseverbot außerhalb des Landes. Ich erfahre auch, dass er achtzig Peitschenhiebe erhalten habe. Von den Schultern bis zu den Waden. Als er meinte, das täte weh und hinterließe Narben, traute ich mich nicht zu fragen, ob er nur die körperlichen Verletzungen meinte. Dieses Strafmaß wurde vor zwei Jahren vollzogen und ich mag gar nicht recherchieren, ob das inzwischen immer noch üblich ist. Saudi-Arabien ist ein Land voller Kontraste – geprägt von atemberaubender Natur, tief verwurzelten Traditionen und einem rasanten Wandel. Wer sich darauf einlässt, entdeckt mehr als Schlagzeilen über Menschenrechte und konservative Gesetze. Hier entfalten sich Geschichten von Fortschritt und Widerstand, von Innovation und Identitätssuche, von Möglichkeiten und Grenzen. Diese Entwicklungen zu beobachten, darüber zu schreiben und sie kritisch zu begleiten, ist nicht nur spannend, sondern notwendig. Denn nur durch einen differenzierten Blick lässt sich verstehen, was hier wirklich geschieht – und was noch kommen wird. ••• Weitere Fotos zum Museum und der Biennale auf meinem Instagram-Account:
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© 2020 - 2024 Monika Bremer • Freie Journalistin • Kultur & Gesellschaft • Naher Osten • Verbraucher • unGehindert 
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