Konzertoutfit. Schwarzes Kleid, Posaune im Gigbag auf dem Rücken und ein Trolley mit Instrumentenständer im Schlepptau. Zu Fuß zur AUC (American University Cairo) Tahrir in Downtown Kairo, direkt neben dem Tahrirplatz. Auf den Straßen, auf denen eine Gruppe vorbeiradelnder Fahrradfahrer schon eine Sensation ist, falle auch ich auf. Der gut 10-minütige Weg ist eher ein Spießrutenlauf als ein Spaziergang. Taxifahren lohnt sich aber nicht bei den vielen Einbahnstraßen, und es ist trotzdem schön, bei strahlendem Sonnenschein durch die lebendige Stadt zu gehen.
Von der Seite Mohamed-Mahmoud-Straße kommt man auf das Gelände der AUC, das seit einigen Jahren Kulturzentrum ist, und man betritt eine andere Welt. Der große Garten ist umrandet von historischen Gebäuden.
Der Khairy-Pasha-Palast wurde im Jahr 1870 von Khedive Ismail, der auch die erste Oper in Kairo errichten ließ, erbaut. Die Internetseite der AUC gibt Auskunft über die historische Entwicklung des Geländes. Der Palast bekam seinen Namen nach dem damaligen ägyptischen Bildungsminister, Ahmed Khairy Pasha. 1908 begann dort die Lehrtätigkeit, und die Universität wurde zunächst nach dem König, "King-Fouad-Universität", und später als "Cairo-Universität" benannt. Die Lehrtätigkeit endete erstmal in 1919, als Charles Watson, Gründer der zukünftigen Amerikanischen Universität Kairo, das Gelände erstand. Nach politischen Verwirrungen und zahlreichen Renovierungen, unter anderem wurde das Türkische Dampfbad in Sportduschen für die Studenten umfunktioniert, wurde 1920 mit 142 Studenten die Universität als AUC wiedereröffnet. 1928 und 1932 wurden die "Oriental-Hall" und die "Ewart-Memorial-Hall" dann renoviert, um die wachsende Studentenzahl bewältigen zu können. Seit diesem Zeitpunkt sieht sich die AUC nicht nur als Universität, sondern auch als kulturelles Zentrum im Herzen Kairos. Tarek Atia, Managing Director der AUC, betonte in seiner Eröffnungsrede zum Jazzfestival auf der großen Garden Stage, dass es ihm wichtig sei, mit dem Kulturzentrum Teil dieser Stadt und von Downtown zu sein. Es tönte Musik aus den Straßen bis auf das AUC-Gelände, und er verwies auch auf die neuerdings geschaffene Beleuchtung am Tahrirplatz, die vom Garten der AUC zu sehen ist. "Das alles gehört zur Stadt, und wir sind ein Teil davon", so seine Worte. Insbesondere seit dem Neubau vor zehn Jahren, dem AUC New Campus am Stadtrand Kairos, um der weiter wachsenden Studentenzahl gerecht zu werden, wuchs die kulturelle Bedeutung des Campus am Tahrir, betont Tarek Atia. Bereits das zweite Mal in Folge kooperiert die AUC Tahrir mit dem Cairo Jazz Festival und stellt die Logistik zur Verfügung. In diesem Jahr sei es ein kleines, fast schon privates Festival auf diesem tollen Gelände. Coronabedingt.
An all das denke ich nicht, als ich an der Garden-Stage vorbei in den Innenhof zur Ewart-Hall gehe. Im Hof haben die "Bandmakers" eine kleine Bühne aufgebaut für ihren Jazzinino-Workshop. Das Festivalprogramm informiert darüber, dass es die Jazzinino-Workshops bereits seit 2009 auf dem Jazzfestival gibt, um junge Talente an Jazz heranzuführen und ihnen eine Bühne zu geben. Wie selbstverständlich stelle ich meine ganzen Sachen im Garderobenbereich der Ewart-Hall ab. Nicht nur, dass ich das Jazzfestival vom letzten Jahr her, als ich als Pressereferentin die Medien koordinierte, kenne. Die Ewart-Hall ist mir auch aus zahlreichen Proben und Konzerten mit der Cairo-Choral-Society bekannt.
Flugs die wichtigsten Dinge eingeschlossen, Posaunenständer und Instrument sowie Noten schon mal auf die Bühne gebracht, um dann noch einige Momente vom Jazzinino-Auftritt zu erhaschen. Ich freue mich, als ich Schülerinnen und Schüler aus meinen Musikklassen wiedersehe. Winken, Eltern begrüßen, ankommen. Nach und nach treffe ich die ehemaligen Kollegen aus dem letzten Jahr und namhafte Musiker wie Ramy Attalah und Fathy Salama, meine Bigbandkollegen trudeln ein, und der NRJ-Kollege, der wie jedes Jahr für den Radiosender vor Ort ist, sagt "Hallo". Als ich meine Trinkflasche am Wasserspender fülle, nicke ich Sherif Watson von den "Bandmakers" zu und schmunzle. Alles wie immer, man kennt sich. In dem großem Baum vor dem Café müssen hunderte von Spatzen sitzen, die den jungen Leuten auf der Fountain-Stage lautstark Konkurrenz machen. Eine Oase inmitten der lebendigen Stadt.
Neu ist, dass ich diesmal auf der Bühne mit dabei bin. Minna, eine junge Helferin, stellt sich als Betreuerin der Cairo-Bigband-Society vor. Der Soundcheck beginnt natürlich etwas später als angekündigt, aber nur etwas. Wir sind nur Wenige, denn etliche unserer Kollegen haben noch Probe in der Oper bis um fünf. Wie immer muss man selbst die Bühne noch nachjustieren. Die jungen Burschen, die die Bühne aufbauen, haben keine Ahnung, wo ein Notenständer stehen muss. Dafür kennen sie sich super mit der Technik aus. Mein Mikrofon wird ausgerichtet, und ich soll Soundcheck machen. Ob ich meinen Monitor hören kann. Ich bin vornehmlich Blasorchester und Schulensemble gewöhnt und hab vor zehn Jahren in München zuletzt regelmäßig Bigband gespielt. Ich bin verunsichert und weiß nicht, was ich genau spielen soll. Meine Einspielübungen sind mir peinlich. Hesham Galal, unser Bigbandleiter, merkt das und hilft mir aus der Patsche. Spiel "Beyond the Sea" ruft er, setzt sich ans Klavier und begleitet mich. Erleichtert stelle ich fest, dass mein Monitor gut funktioniert und wiederhole Gleiches für meinen Posaunenkollegen, der noch Probe hat. Eigentlich darf ich "Posaunenkollege" nicht sagen. Bigbandkollege, ja. Denn wenn wir Auftritte haben, spiele ich meine Stimme, dritte Posaune und er seine. Er allerdings erste Posaune und die Soli. Und das ist auch gut so und genau richtig, denn posaunentechnisch kann ich ihm bei Weitem nicht das Wasser reichen. Bei Auftritten merkt man das nur minimal, denn da spielt jeder seinen Part. Welcher Aufwand aber notwendig ist, damit jeder seinen Part spielen kann, macht den Unterschied aus. Zafar Asimov ist erster Posaunist im CSO (Cairo Symphony Orchestra). Meine Noten habe ich im Ordner nach Alphabet sortiert und die Auftrittsnoten nach Running Order. Seine Noten bekommt er in den Proben und zu den Auftritten auf den Notenständer gestellt. Bei neuen Noten, in den vierstündigen Proben mit den Sängerinnen und Sängern, schaut er sich schwierig aussehende Stellen kurz an, zieht sie einmal kurz durch, nickt und quatscht mit Kollegen. Ich schaue mir die schwierigen Stellen auch an, schüttel den Kopf, nehme die Noten mit nach Hause und übe täglich. Es bleibt sowieso nur eine Woche dafür Zeit. Im Jazzclub kommt er fünf Minuten vor dem Auftritt und fragt noch schmunzelnd "War heute Soundcheck?" Ich bin eine halbe Stunde vor Soundcheck da und frage nochmal nach den zu spielenden Stücken, die im Jazzclub eigentlich auf Zuruf aus dem Repertoire-Ordner gespielt werden. Für das Festival wurden für ihn noch Noten ausgedruckt, die er dann aber in der Garderobe vergisst. In aller Seelenruhe holt er sie, während die Bigband noch angekündigt und der Bassist als hervorragender Musiker ausgezeichnet wird. Als er während des Auftritts ein Stück in seinem Ordner nicht findet, blättert er, während wir schon spielen, in seinem Ordner hin und her und macht mich damit gleich mit nervös.
Bis zum Auftritt dauert es aber noch. Nach uns hat ein portugiesisches Ensemble Soundcheck, und die haben ihren Auftritt dann in der Ewart-Hall vor uns. Die Ewart-Hall ist voll besetzt. Das heißt in Corona-Zeiten, sie ist halb besetzt. Amro Salah, Leiter des Cairo-Jazz-Festivals, kommt im Soundcheck zu uns auf die Bühne. Ich winke ihm zu und grinse. Er freut sich sehr, mich zu sehen und ist total überrascht, dass ich bei Hesham in der Bigband spiele. Wir begrüßen uns herzlich und wechseln ein paar Worte. Dann ist er, wie immer eilig unterwegs, auch erstmal wieder verschwunden. Er hat erzählt, dass aufgrund von Corona das Festival etwas schwieriger zu organisieren war. Stühle im Sicherheitsabstand vor die Garden Stage zu platzieren, Maskenpflicht für alle und nur jeden zweiten Stuhl in der Ewart Hall zu besetzen, ist dabei die leichtere Übung. Halbes Publikum bedeutet auch, halbe Einnahmen. Mit Hilfe zahlreicher Sponsoren ist es ihm dennoch gelungen, ein einwöchiges Festival mit internationalen Gästen auf die Beine zu stellen (www.cairojazzfest.com). Gespart wird dann bei Dingen, die das Publikum nicht mit bekommt. Beispielsweise haben wir Musiker Batches, also Teilnehmerausweise, aus dem letzten Jahr bekommen, auf denen das "19" der Jahreszahl geschwärzt wurde. Ebenso fehlten Künstlertaschen mit Poster und Merchandising, und es waren viel weniger helfende Hände vor Ort. Als Verpflegung gab es Obst und alkoholfreie Getränke anstatt einer Mahlzeit. Das Künstlerhotel war dieses Jahr nicht das 5-Sterne Semiramis, sondern das 4-Sterne Steigenberger am Tahrir. Wir waren mit allem zufrieden, denn wichtig ist nur, dass das Festival überhaupt stattfinden kann. Trotz Corona. In einer Zeit, in der in Europa die Kulturszene lahm gelegt ist. Corona bekamen an diesem Tag nur diejenigen zu spüren, die auf eine Abendkasse hofften. Fünf Kolleginnen und Bekannte mussten ohne Karten wieder von dannen ziehen, wir waren ausverkauft und hatten keine Gästekarten.
Kurz vor dem Auftritt scherzten wir in der Garderobe. Gut für uns Nicht-Profis, denn wir mussten nicht mehr nach Noten fragen und uns nicht mehr sortieren nach Proben oder bereits gespielten Auftritten. Eine Kollegin brachte eine Thermoskanne mit, und ich fragte ganz naiv: "Kaffee?" Sie lachte und meinte "Ja, Irish Coffee", der sich als sehr Irish ohne Coffee herausstellte. Ich gönnte mir einen klitzekleinen Schluck vom Whiskey, und dann ging es endlich los. Der Auftritt war viel zu schnell zu Ende. So viel Aufregung, so viel Üben und Proben, und dann geht man auf die Bühne und spielt einfach. Ich saß neben Zafar und vor Tarek, den ich auch erst im Garderobenraum kennenlernte, als man ihm den Stapel mit den Konzertnoten in die Hand drückte. Sehr inbrünstig spielte er mir seine Trompete eine Stunde lang ins Ohr. Auf dem Programm standen "Beyond the Sea", "Feeling Good", "Cheek to Cheek", "Lullaby of Birdland", "Big Spender", "History Repeating" u.a., jeweils mit wechselnden Sängerinnen und Sängern. Fast wehmütig war ich, als Adam Roushdy das letzte Stück mit allen "All-Stars"-Sängerinnen unseres Konzertes ankündigte. Hervorzuheben unter den Sängerinnen und Sängern sind definitiv Adam Roushdy und Dalia Farid. Bei "Salma ya Salama" trafen sich alle nochmal zum Finale, und das Publikum hatte auf dem Jazzfestival endlich etwas zum Mitklatschen und Mitsingen. In meiner Loggia hängt jetzt bereits das zweite Jazzfestival-Programm, und da wäre auch noch Platz für mehr.
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