Es ist viele Jahre her, dass ich erstmals einen Fotografen traf, der sich für seinen Beruf schämte. Er fotografierte Türklinken für Kataloge - ja, damals gab es erst wenig Internet. Das war die erste sogenannte Produktnutte, der ich begegnete. Der Begriff lief mir erneut vor kurzem in einem Fernsehfilm über den Weg. Der Fotograf in dem Film schoss Produktfotos für Werbung und bezeichnete sich selbst als Produktnutte, was nicht als Kompliment gemeint war. Der Begriff bringt etwas Entwürdigendes, Herablassendes und Beschämendes mit sich. Demzufolge scheint Künstler:in etwas Erstrebenswertes, für Werbung und Auftraggeber zu arbeiten, etwas Beschämendes zu sein.
Ich habe das Glück, mit den Fotografinnen Diana Dau und Sally Mire über ihre Arbeit sprechen zu dürfen, und ihre Sicht darauf könnte unterschiedlicher nicht sein.
35.500 Fotograf:innen gibt es laut Statista per Stand Ende 2019 in Deutschland. In Deutschland ist Fotograf:in ein anerkannter Ausbildungsberuf, der drei Jahre dauert. Er gilt als „Duale Ausbildung im Handwerk“ und wird im Ausbildungsbetrieb und an der Berufsschule gelehrt. Die Bundesagentur für Arbeit beschreibt die Arbeit als Fotograf:in wie folgt:
„ Fotografen und Fotografinnen erstellen je nach Schwerpunkt Porträt-, Produkt-, Industrie- und Architektur- oder wissenschaftliche Fotos. Darüber hinaus werden Fotografien auch im Film und in der Videotechnik eingesetzt. …“
Sie arbeiten in einem Fotostudio oder für Verlage. Von „Ein Fotograf ist ein Künstler“ steht da nichts. Anders ist das im Libanon und auch in Ägypten. Ausbildungsberufe gibt es in diesen Ländern nicht. Wer einen Beruf erlernen will, macht das nach dem Prinzip „Ich übe so lange, bis ich es kann und schau es mir vom Vater ab“, oder muss studieren.
Sally Mire beispielsweise hat an der ALBA studiert, der Libanesischen Hochschule für Schöne Künste. Der Ausbildungsschwerpunkt von Sally ist Grafikdesign und Werbung, von Diana Grafikdesign und Fashion.
Diana Dau - p.ro.duct.shots
Auf Diana, eine junge Fotografin, stoße ich in Instagram, denn ihre Seite dort heißt „p.ro.duct.shots“. Genau das, wonach ich suche. Diana hat lange in London gearbeitet und möchte demnächst nach Berlin ziehen. Wegen Corona ist das zur Zeit jedoch nicht möglich, und so telefoniert sie mit mir aus Cluj-Napoca in Rumänien. Sie bewirbt sich selbst als Grafikdesignerin, Art Direktorin und Fotografin, jeweils mit Fashion-Background.
Ihre Definition von Kunst und Marketing für Fotograf:innen ist ganz klar. Kunst ist der Ausdruck des eigenen Ichs, im Marketing steht das Produkt im Vordergrund. Es muss im Fokus des Bildes stehen, und alles im Bild konzentriere sich darauf, das Produkt gut aussehen zu lassen. „Geld ist nicht sehr künstlerisch“, sagt sie lachend. Aber es dauert, bis die eigene Kunst anerkannt würde und Menschen bereit seien, dafür Geld auszugeben.
Diana sieht keinen Widerspruch zwischen Kunst und Marketing. E-Commcerce-Shootings findet sie langweilig, denn da käme es ausschließlich darauf an, technisch korrekte Bilder abzuliefern. Sie vergleicht das mit dem Schreiben. Grammatikalisch richtig bedeutet nicht automatisch, dass es sich gut liest. Genauso sei das bei den Fotos. Sie liebt es, ihre eigenen Ideen und künstlerischen Fähigkeiten auch in Produktfotos mit einzubringen; eine andere Perspektive mit einem anderen Winkel, Licht und Farben beispielsweise. Zudem lernt sie dabei die Kunden und den Markt kennen, was wiederum ein Spiegel von den Menschen und der Gesellschaft sei. Diese Kenntnisse seien für Künstler wichtig, betont sie. Wie könne man als Künstler sonst neue Perspektiven aufgreifen, wenn man mit den Menschen und der Gesellschaft nicht in Kontakt ist.
Dass sich heute jeder als Fotograf:in bezeichnen und in den Sozialen Medien auch darstellen kann, sieht Diana nicht als Problem. Jeder müsse an einem Punkt irgendwie beginnen, relevant sei letztendlich das Ergebnis, und das sei das, was zählt. Photoshop ist für sie ein Tool, keine Bedrohung für die Fotografie. Sie vergleicht es mit einem Werkzeug wie z.B. ein Stift für eine:n Journalist:in. Wenn damit Blödsinn geschrieben würde, sei das nicht die Schuld des Stiftes.
Ihr Umfeld zeigt sich positiv gegenüber ihrer Arbeit. Es sei mit ausschlaggebend für ihre jetzige Tätigkeit gewesen, denn sie habe dadurch Motivation erfahren, sich nicht ausschließlich um Kunst, sondern auch um ihren Lebensunterhalt zu kümmern. Es war eher ein innerer Konflikt, bis sie sich entschied, dass sie nicht länger arm sein möchte. Heute liebt sie ihren Beruf, und auch ich habe das Gefühl, mit einer selbstbewussten und zufriedenen jungen Frau gesprochen zu haben.
(c) Diana Dau Facebook: https://www.facebook.com/dianaspacedau/ | Instagram: dianadau
Sally Mire - Sally Mire Photography
Sally Mire kenne ich persönlich und traf sie in Beirut und in Wacken. Im Lockdown in Beirut spricht sie mit mir per Messenger. Sowohl ihr Umfeld als auch sie selbst sieht sich ganz klar als Künstlerin - als Sängerin und Fotografin. Besonders stolz ist sie auf ihr Fotoshooting mit der Band „Black Sabbath“ und die Präsentation dieser Fotos in der Black-Sabbath-Ausstellung in Birmingham.
Sie unterscheidet ganz klar zwischen „Fine-Art“-Fotograf:innen und kommerziellen Fotograf:innen. Sie kennt den Ausdruck „Slave of the Market“, wie es auf Englisch heißt, auch, bevorzugt aber, von unterschiedlichen Berufskategorien zu sprechen. Kommerzielle Fotograf:innen seien aber definitiv keine Künstler:innen. Deren Aufgabe wäre es, Produkte technisch ins rechte Licht zu setzen.
"I would never burn my passion for a piece of paper."
Für sie selbst kommt diese Aufgabe nur in besonderen Notfällen in Frage. Sie habe das Gefühl, dafür mit ihren Händen und ihren technischen Fähigkeiten zu arbeiten, jedoch nicht mit ihrer Seele. Dabei sei sie voll Gefühl und Leidenschaft und wolle das auch in ihrer Arbeit erleben. In ihre Projekte tauche sie ganz ein und entwickelt Ideen, und sie muss die Projekte unbedingt mögen. „Für einige Menschen steht der finanzielle Aspekt im Vordergrund. Mir reicht es, wenn ich von meinen Projekten und meiner Leidenschaft leben kann. Und wenn das nicht möglich ist, dann arbeite ich lieber ganz etwas anderes, beispielsweise in einem Büro“. Wortwörtlich fügt sie hinzu: „I would never burn my passion for a piece of paper“. Und wenn immer es möglich ist, lehnt sie rein finanzielle Projekte - sie nennt diese „money-shootings“ - ab. Einige Kunden würden gezielt nach künstlerischen Produktfotograf:innen suchen, doch diese Kunden seien leider selten.
Das Gespräch mit Sally ist mit mehr Emotionen verbunden, als das Gespräch mit Diana. Bei Sally ist ein bisschen Kampfgeist für ihre Projekte und ihre Leidenschaft zu spüren, und auch sie tritt sehr selbstbewusst und auch ein bisschen stolz auf.
(c) Sally Mire
Facebook: https://www.facebook.com/Sallymirephotography | Instagram: sally.mire
Wahrscheinlich ist das, was die jungen Fotografinnen machen, für jede Einzelne genau das Richtige. Und eigentlich wissen wir, dass es darauf ankommen sollte. Künstler:in hin oder her.
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